Recherche: Claudia Scheidt
Am 7. September 2025 wurden in Kaiserslautern, Pirmasenser Straße 9 für Adolf Allmayer, seine Frau Hermine Henriette, geborene Roos und die Zwillingstöchter Inge und Margot Stolpersteine verlegt.


aus: „United States of America, Declaration on Intention“ vom 22.07.1939
(Vereinigte Staaten von Amerika, Absichtserklärung)
Biografie
Familie Allmayer stammt ursprünglich aus Hottenbach, damals zur Bürgermeisterei Rhaunen, Kreis Bernkastel gehörig. In dem kleinen Ort im Hunsrück kommt 1894 Adolf als 10tes von 11 Kindern zur Welt. Wie vier seiner Brüder kämpft auch er im ersten Weltkrieg für Deutschland. Für seinen Einsatz wird ihm 17 Jahre später (1935) durch Hitler das „Ehrenkreuz für Frontkämpfer“ verliehen.
1924 heiratet Adolf die 1899 in Brücken geborene Hermine Roos. Sie stammt ebenfalls aus einer Großfamilie mit insgesamt 12 Kindern. Wie Adolf, kämpfen auch ihre beiden älteren Brüder im 1. Weltkrieg. 1917 fällt der 21jährige Leo in Flandern/Belgien.
Anfangs lebt das Ehepaar in Hottenbach. Nach dem 1926 die Zwillinge Inge und Margot zur Welt kommen, zieht Familie Allmayer nach Idar-Oberstein und 1927 nach Kaiserslautern, wo sie eine Wohnung in der Schillerstraße 6 anmietet. Adolf betreibt einen Pferdehandel, der ihn über die Grenzen von Kaiserslautern führt. Einmal monatlich reist er nach Dortmund. Am 27.08.1929 beziehen sie das eigene Haus im Grünen Graben 14.
Die Familie lebt ihren jüdischen Glauben, ist jedoch nicht streng orthodox. Dienstags und donnerstags besuchen Inge und Margot für 2 Stunden die Synagoge. Dort lernen sie gemeinsam mit anderen jüdischen Kindern, bei Rabbiner Baron, Hebräisch. Man hält Schabbat (Ruhetag) und die jüdischen Feiertage ein. Zu Schabbat kommt Adolf früher nach Hause. Hermine bereitet die Schabbat-Mahlzeit vor. Samstags besuchen sie gemeinsam die Synagoge. Chanukka wird zusammen mit nichtjüdischen Freund*Innen gefeiert. Im Gegenzug trifft man sich zu Weihnachten bei ihnen.
Nach der Machtübernahme der Nazis und dem beginnenden „Judenboykott“ ab 01.04.1933 laufen die Geschäfte für Juden immer schlechter. Zudem erlebt die jüdische Bevölkerung zunehmend soziale Isolation durch Ausgrenzung. Dies hat zur Folge, dass nach und nach Familienangehörigen der Familie Allmayer und Roos Deutschland verlassen. Zu diesem Zeitpunkt denkt Adolf immer noch nicht an Flucht. Er ist sich sicher, dass ihn seine Auszeichnung aus dem 1. Weltkrieg vor den Repressalien seitens der Nationalsozialisten schützt.
Zeitweise leben im Haushalt der Familie auch die 2 jüngsten Geschwister von Hermine, Erich und Walter. Beide besuchen eine weiterführende Schule in Kaiserslautern. 1931 zieht Erich nach Waldsee bei Speyer um eine Lehre zu beginnen. Nachdem Walter in einer Diskussion mit einem Klassenkameraden, Hitlers Niedergang mit dessen Rassentheorie und Judenverfolgung begründet, wird er von der Oberrealschule in Kaiserslautern verwiesen. Zudem wird ihm verboten, zukünftig eine deutsche Schule zu besuchen. Im Januar 1936 zieht Walter wieder zu seiner Mutter nach Brücken und am 14.05.1936 emigriert er mit drei seiner Brüder in die USA. Dort lebt bereits seit 1926 der ältere Bruder von Hermine, Dr. Julius Roos. Er ist bereits seit 1932 in Besitz der amerikanischen Staatsbürgerschaft. Laut Passagierliste besucht er 1929 nochmals seine Familie in Deutschland. Inge kann sich noch gut an das Kamel auf den mitgebrachten Zigarettenpäckchen aus den USA erinnern, die ihre Onkels rauchen.
1937 muss Adolf Allmayer seinen Pferdehandel aufgeben. Da der Familie große finanzielle Schwierigkeiten drohen, reift die Entscheidung auszuwandern. Noch im selben Jahr verkaufen sie ihr Haus und ziehen im Oktober in die Pirmasenser Straße 9 zur Miete.
Zu diesem Zeitpunkt leben bereits sämtliche Geschwister und die Mutter von Hermine in den USA. Dieser Tatsache ist zu verdanken, dass sie bereits im Frühjahr 1938 die benötigten Ausreisepapiere erhalten.
Bis zur Ausreise hält lediglich Frau Thomas und ein weiterer Nachbar Kontakt zu ihnen. Beide sind nicht jüdischem Glauben. Frau Thomas führt eine Reinigung im Grünen Graben. Sie kommt immer erst bei Dunkelheit. Sie freut sich über die geplante Ausreise der Familie Allmayer und würde gerne mitkommen.
Der andere Nachbar ist ein gläubiger Katholik. Er betreibt einen Damen und Herren Friseursalon. Ihn sucht die Familie ausschließlich abends auf. Er ist immer freundlich, behandelt sie herzlich und verabschiedet sich von ihnen, als sie im August 1938 Kaiserslautern verlassen. Am 04.08.1938 emigriert Familie Allmayer über Hamburg nach New York.
Kindheit von Inge und Margot Allmayer
Bis zur Machtübernahme der Nationalsozialisten haben Inge und Margot eine schöne Kindheit. Sie spielen mit den Nachbarkindern, wobei der Glaube keine Rolle spielt. Margot ist wie ein Junge. Sie spielt meist draußen und kommt immer zu spät zum Essen. Inge hingegen ist ein sehr sensibles Kind. Die Sommerferien verbringen sie bei der Großmutter in Brücken oder bei ihrer Tante Klara Allmayer in Luxemburg. Vor 1933 gibt es kaum „Risches“ (Judenfeindschaft) in Brücken. Die Familie ist voll integriert. Auch in Hottenbach ist das Miteinander gut, man hilft sich.
Inge und Margot werden mit 5 Jahren in Kaiserslautern eingeschult. Nach einer Verfügung vom 27.06.1936 der Regierung Pfalz, dürfen jüdische Schüler*Innen ab Oktober 1936 nicht mehr in der Volksschule, sondern nur noch in einer jüdischen Sonderklasse unterrichtet werden. Inge und Margot sind 10 Jahre, als sie in die Sonderklasse der Röhmschule kommen. Alle jüdischen Klassen sind in einem Raum unter dem Dach der Schule untergebracht. Da Familie Allmayer im August 1938 in die USA emigriert, müssen die Geschwister die Vertreibung aus der Schule nicht miterleben.

Frühjahr 1938:
Schüler*Innen der jüdischen Sonderklasse, nach Jahrgang geordnet, die Jüngsten vorn, die Älteren in den hinteren Reihen
Margot: 3. Reihe – erste von rechts Inge: 3. Reihe – dritte von rechts (mit Brille)
Inge nimmt erstmalig 1937 Ausschreitungen durch SS-Männer wahr. Über das, was jüdischen Menschen auf der Straße passiert ist sie zutiefst schockiert.
Das letzte Jahr vor der Ausreise halten sich die Geschwister überwiegend im Haus auf. Sie spielen „nach Amerika gehen“. Auf Chicago freuen sie sich, obwohl in der Schule von Chicago als Gangsterstadt geredet wird. Inges Freundin Henni ist froh, dass Inge mit ihrer Familie in die USA emigriert. Inge selbst ist besorgt, weil die Familie von Henni nicht weiß, wohin sie fliehen soll. Inge wird Henni nie wieder sehen. Sie gilt als „in Polen verschollen“.
Ankommen in den USA
Die erste Zeit ist für das Ehepaar Allmayer nicht einfach. Adolf leidet unter Depressionen und Angstzuständen. Zudem tut er sich mit der neuen Sprache schwer. Für seine Frau ist es einfacher. Sie besucht Abendkurse und schafft es so, nach wenigen Monaten sich auf Englisch zu verständigen. Da die meisten Geschwister von Hermine in Chicago leben ziehen auch sie nach Illinois. Mit Unterstützung von Dr. Julius Roos finden sie eine Wohnung, Arbeit und ihren Platz in der neuen Heimat. Hermine arbeitet in Heimarbeit als Schneiderin und Adolf findet nach verschiedenen Tätigkeiten seine Erfüllung als Vertreter.
In den USA nennen sich die Schwestern Jean und Margo. 4 Wochen nach Ankunft in New York werden sie eingeschult. Inge geht von Beginn an gerne zur Schule. Sie hat keine Probleme mit der Sprache. Nach 3 Monaten spricht sie flüssig Englisch. Eine deutsche Mitschülerin hilft ihr. Aufgrund ihrer Erfahrungen in Kaiserslautern meidet sie Kinder die in Gruppen zusammen stehen, lieber läuft sie einen Umweg.
Die Familie beginnt bei null. Es sind lange Arbeitstage, auch am Wochenende. Trotzdem sind sie froh, denn sie sind in Sicherheit.
Als am 24.07.1940 Tochter Irene (Jane genannt) zur Welt kommt, ist dies für alle eine große Freude. Sie ist ein niedliches Kind.
In den ersten Jahren besteht der Freundeskreis der Eheleute ausschließlich aus Migranten aus Deutschland, was sich über die Jahre ändert.
Am 01.12.1979 stirbt Adolf und zehn Jahre später, am 13.12.1989 Hermine Allmayer.
Mit 20 Jahren lernt Inge ihren späteren Ehemann Karl/Jack Heimann (*1920 in Demmelsdorf) kennen. Auch er stammt aus Deutschland. Sie heiraten und haben zwei Töchter und einen Sohn. Alle Kinder sind verheiratet und haben wiederum Kinder. Inges Kinder besuchen eine jüdische Schule. Sie erhält die Rückmeldung, dass sie „europäisch“ erzogen wurden. Als Familie praktizieren sie den jüdischen Glauben. Es besteht Kontakt zur jüdischen Gemeinde.
In Inges Familie wird über die Geschehnisse in Nazi-Deutschland gesprochen. 1961 reisen sie auf Drängen ihres Mannes nach Deutschland und besuchen auch Kaiserslautern. Frau Thomas treffen sie leider nicht mehr an „die Rollläden waren unten“. Den andern Nachbarn besucht sie mit ihrer Familie. Es ist ein sehr emotionaler Moment.
Sie kann bis heute nicht begreifen wie der Holocaust passieren konnte. Sie kommt zu dem Schluss: „Menschen zu hassen ist nun mal einfacher als sie zu lieben“.
Inge Heimann, geb. Allmayer stirbt am 27.01.1997 in Skokie, Cook, Illinois. Jack Heimann heiratet später noch mal. Er stirbt am 08.12.2014.
Anders sieht es bei Margot aus. Aufgrund der in Deutschland gemachten Erfahrungen distanziert sie sich vom Judentum. Sie kann nicht verstehen, dass der Holocaust geschehen konnte. Trotzdem ist sie für ihre Lebensfreude bekannt.
Margot heiratet den aus Mannheim stammenden Bernhard/Fred Oppenheim/Oppenheimer (*1920). Sie haben 3 Töchter und einen Sohn. Eine der Töchter stirbt bereits 1969 mit 20 Jahren. Auch Margots Kinder sind verheiratet und haben wiederum eigene Kinder. Am 31.07.2007 stirbt ihr Ehemann. 9 Monate später am 05.05.2008 stirbt auch sie im Alter von 82 Jahren. Margot ist auf dem jüdischen Oak Ridge Friedhof in Skokie beigesetzt.
Irene ist ebenfalls verheiratet. Nach der Eheschließung trägt sie den Namen Gordon. Die Ehe ist kinderlos. Sie praktiziert den jüdischen Glauben und ist Mitglied in der Organisation „Hadassah, the Women’s Zionist Organization of America“ (eine 1912 in USA gegründete zionistische Frauenorganisation). Sie stirbt am 11.07.2017.
Bilder stammen aus dem Archiv der USC Shoah Foundation – The Institute for Visual History and Education
Weitere Informationen: http://sfi.usc.edu/
Strassenansichten: Stadtarchiv Kaiserslautern

1924: Hochzeit von Hermine und Adolf Allmayer


Schulausflug zum Humbergturm: Inge und Margot Allmayer (im Torbogen)

Dr. Julius Roos (Bruder von Hermine Allmayer)

Hermine Allmayer mit ihrer Mutter und ihren Geschwistern in den USA

Mutter von Hermine Allmayer mit Schwester Margot und deren Tochter Barbara


Adolf Allmayer

Leo und Ludwig Allmayer

Benjamin und Julius Allmayer

Nathan und Babette Allmayer (Eltern von Adolf Allmayer)

Schillerstraße 6
(1. Mietwohnung)

Grüner Graben 14
(nach Verkauf des Hauses 1937)

Letzter Wohnsitz von Familie Allmayer in Kaiserslautern: Pirmasenser Straße 9
(2. Haus)

Pirmasenser Straße 9
(Haus auf der rechten Seite, 3. Aushängeschild „Blumen Barth“)


Grabsteine von Adolf und Hermine Allmayer (Eltern)





Grabsteine von Inge, Margot und Irene Allmayer (Töchter)
Quellen:
KuLaDig, Kultur.Landschaft. Digital. URL: https://www.kuladig.de/Objektansicht/KLD-343748
Mahnmal Koblenz, Dauerausstellung, Allmayer Nathan
Auf jüdischen Spuren im Oberen Glantal:
Band 1 „Die jüdische Gemeinde in Brücken“
Band 2 „Die jüdischen Einwohner in Brücken“
Adressbuch 1936 und 1939
Jüdisches Museum Berlin, Roos Leo
Stadtarchiv Kaiserslautern, Meldekarte Allmayer Adolf
Stadtarchiv Kaiserslautern, Meldekarte Roos Erich
Stadtarchiv Kaiserslautern, Meldekarte Roos Walter
Bayrische Israelitische Gemeindezeitung (01.10.1936 und 15.12.1936)
findagrave:
Adolph Allmayer und Hermine Allmayer
Jack C. Heimann und Inge Jean
Fred Oppenheimer und Margo
Irene Gordon (geb. Allmayer)
Barbara Jasper (geb. Oppenheimer)
findagrave Kurzbiographien: Margo A. Oppenheimer und Fred Oppenheimer
New York Passenger Lists.:
S.S. Columbus, Bremen – New York, 22.08.1926 (Julius Roos)
S.S. Majestio, Cherbourg (Frankreich) – New York, 25.07.1929 (Julius Roos)
S.S. Manhattan, Havre (F) – New York, 07.05.1936 (Walter,Erich,Siegfried R.)
S.S. Hamburg, Hamburg – New York, 04.08.1938 (Familie Adolf Allmayer)
Ekr.de/offenbach: „Jüdische Bürger in Offenbach“
07.11.1995, Interview Survivors of the Shoa Visual History (Jean Allmayer und Phyllis Dreazen)
