Recherche: Leistungskurs Geschichte 12 (Schuljahr 2023/24) des Hohenstaufen-Gymnasiums Kaiserslautern
Am 7.9.2025 wurden in der Wormser Straße 7 in Kaiserslautern drei Stolpersteine gelegt für
- Isidor Preis,
- Karoline Preis, geborene Levy und ihre Tochter
- Ilse Ruth Preis

Als der Leistungskurs Geschichte 12 (Schuljahr 2023/24) des Hohenstaufen-Gymnasiums Kaiserslautern im Rahmen eines Projektes die Recherche der Biografie einer Kaiserslauterer Jüdin, Ilse Ruth Preis, begleitet von Michael Wiesheu von der Stolperstein Initiative Kaiserslautern und den Lehrerinnen Beatrix Merkert und Birgit Weitz, zu erforschen begann, ahnte niemand, wie intensiv die Recherche würde. Die Schülerinnen und Schüler erforschten den Lebensweg Ilses und ihrer Eltern mit der Hilfe der Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter des Stadtarchivs Kaiserslautern und fanden eigenständig heraus, dass Ilse Seitenbach, geb. Preis, noch lebt und ließen ihr zu ihrem hundertsten (!) Geburtstag am 1. August 2024 über ihren Enkelsohn Justin, auf dessen Instagram-Account Charlotte Wunder bei ihrer Recherche gestoßen war, die herzlichsten Glückwünsche zukommen. – Die folgende Biografie, maßgeblich von Sophie Schneider erstellt, ist das Ergebnis dieser Recherche.[1]

Ilse Ruth Preis wurde am 1. August 1924 in Kaiserslautern geboren.
Sie wuchs in einer jüdischen Familie mit den Eltern Isidor, einem Viehhändler und Handelsmann, und Karoline Preis (geborene Levy) als Einzelkind auf. Ihr Vater wurde am 4. Januar 1882 als Sohn von Simon und Amalia Preis (geborene Straß) in Morlautern geboren. Isidors Mutter hat ein Grab auf dem jüdischen Friedhof in Kaiserslautern. Ilses Mutter Karoline wurde am 31. Dezember 1877 in Graben (heute Graben-Neudorf), Karlsruhe, geboren. Sie war die Tochter von Bernhardt und Regina Levy (geborene Wilstädter), welche in Graben verstarben.
Karoline und Isidor lebten ab dem 1. April 1912 zusammen in der Wormser Straße 7, bis Isidor am 1. Juni 1915 den Kriegsdienst antrat, von dem er am 21. November 1918 zurückkehrte.
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Fotos: Stadtarchiv Karlsruhe

Foto: Stadtarchiv Kaiserslautern
Neun Jahre nach Ilses Geburt, am 6. Februar 1933, zog die Familie schließlich zusammen in die Steinstraße 35, was für sie der letzte freiwillige Umzug und somit ebenfalls der letzte Wohnort in Kaiserslautern war.[3]

Foto: Stadtarchiv Kaiserslautern
Am 8. März 1933 wurde am Stadthaus in Kaiserslautern zum ersten Mal die Hakenkreuzfahne gehisst, in den nächsten Monaten sollte die Machtübernahme Hitlers mit zahlreichen antisemitischen Verordnungen auch in Kaiserslautern spürbar werden.[4]
Weniger als einen Monat danach, am 1. April, startete der reichsweite Boykott jüdischer Geschäfte; zunehmend wurde das Leben der Kaiserslauterer Juden weiter eingeschränkt, sie wurden wirtschaftlich, politisch und vor allem sozial ausgeschlossen.[5] So durften Juden ab dem 26. Januar 1937 keine Viehhändler mehr sein[6], der Familie Preis wurde damit die Lebensgrundlage genommen.

Foto: Stadtarchiv Kaiserslautern
Im Frühjahr 1938 besuchte Ilse die im Jahr 1936 eingerichtete „jüdische Sonderklasse“ der Röhmschule. Zeitzeugen berichten von mangelhaften Bedingungen, die nur ein „schwieriges Unterrichten, aber auch ein schwieriges Lernen”[7] ermöglichten. Von anderen Schülern wurden die jüdischen Kinder als „Dummkopf” und „Jude” beschimpft.[8]
Ilses Leben sollte sich erneut drastisch verändern, als es in der Nacht vom 9. auf den 10. November 1938 zur Reichspogromnacht kam. Hierfür wurde das Attentat von Herschel Grynzpan (Grünspan) auf Ernst vom Rath von den Nationalsozialisten als Anlass genommen. In Kaiserslautern wurden 110 von 160 jüdischen Wohnungen verwüstet oder ganz zerstört und mindestens 10 jüdische Geschäfte ruiniert. Für die Höhe der Zahlen war der Truppenführer Theodor Krämer, welcher vor der Machtübernahme 1933 Mitglied der SPD und des „Reichsbanner Schwarz-Rot-Gold”, einem Verein zum Schutz der Republik, war, verantwortlich. Nach der Machtübernahme der Nationalsozialisten beugte er sich dem Regime und gab sich als Nationalsozialist aus, um sich selbst und seine Karriere zu schützen. Theodor Krämer erhielt am Tag des 9. November 1938 einen Zettel vom „SS-Führer” Rudolf Grün mit jüdischen Namen, Wohnorten sowie Geschäften. Als Ortskundiger führte er die Truppen zu den Häusern jüdischer Bewohner, unter anderem auch in die Steinstraße, wo sich zu diesem Zeitpunkt Ilse Ruth Preis aufhielt. Sie musste mit ansehen, wie ihre Wohnung verwüstet wurde. Der größte Teil der jüdischen Männer wurde verhaftet und nach Dachau verschleppt, einem Lager in der Nähe von München, wo sie zur Einschüchterung für einige Wochen inhaftiert wurden. In der Folge der Pogromnacht ließen deshalb viele jüdische Bürgerinnen und Bürger Kaiserslauterns ihr Heim und ihr Hab und Gut zurück und verließen die Stadt.[9]
Ilses Familie ging wie viele andere Betroffene zunächst nach Mannheim. Dort konnte sie jedoch nicht lange bleiben, nur knapp einen Monat später zog die Familie nach Karlsruhe, wo sie ab dem 9. Dezember 1938 in der Kaiserstraße 133 lebte.[10]
Das änderte sich, als Hitler im September 1940 dem Vorschlag zustimmte, alle Juden aus der Saarpfalz und Baden ins unbesetzte Frankreich abzuschieben. So erhielt auch die Gestapo-Stelle in Karlsruhe vom „Reichsführer SS und Chef der Deutschen Polizei“, Heinrich Himmler, den Auftrag, das Vorhaben für die badischen Juden umzusetzen. In der Pfalz war die Durchführung der Aktion der Gestapo-Stelle Neustadt übertragen, der zu diesem Zweck Kräfte der Schutzpolizei, der Kriminalpolizei sowie der Gendarmerie unterstellt wurden. Sie startete am 22. Oktober 1940; in insgesamt sieben Transportzügen wurden badische und pfälzische Juden innerhalb von vier Tagen und drei Nächten nach Oloron deportiert und von dort aus in das Lager Gurs gebracht („Wagner-Bürckel-Aktion“).[11] Ilses Familie blieb einige Monate im Lager, bis sie im März 1941 in das Camp Rivesaltes verlegt wurde. Hier starben Ilses Eltern, ihr Vater Isidor am 07.07.1941 und ihre Mutter Karoline am 18.10.1941. Über die konkreten Umstände des Todes der Eltern ist bislang nichts bekannt. Ilse selbst glückte es 1941, dem Camp Rivesaltes zu entkommen und nach Marseille zu gelangen, wo sie ein halbes Jahr blieb.
Ein Affidavit (eidesstattliche Erklärung zum Nachweis, dass ein US-Bürger finanziell in der Lage ist, einen USA-Einwanderer zu unterstützen) ihres Onkels Edward Preis, der in den USA lebte, erlaubte ihr, Europa zu verlassen. Nachdem sie am 19. Juni 1942 ihr Visum erhalten hatte, verließ sie Marseille in Richtung Lissabon. Dort gelang es ihr durch einen von den Quäkern organisierten Kindertransport, am 10. Juli mit dem Schiff „Nyassa” Europa zu verlassen und somit der nationalsozialistischen Verfolgung zu entkommen.[12] Nach einem kurzen Zwischenhalt in Casablanca kam Ilse schließlich am 30. Juli 1942 in Baltimore an. Die damals 19-jährige gab auf ihren Einwanderungspapieren als Tätigkeit Kinderpflegerin an.[13]
Von Baltimore aus zog sie zu ihrem Onkel nach New York, wo sie Max Seitenbach (2001 verstorben) kennen lernte, den sie 1947 heiratete. Mit ihm hatte Ilse zwei Söhne, Irwin und Ronald K. Seitenbach.[14] Ronald, der zu Lebzeiten in der B’nai Jeshrun Synagoge arbeitete, starb am 08.03.2012 im Alter von 57 Jahren an Krebs. Seine Frau Lori und seine zwei Kinder Johanna und Justin leben in den USA.[15]


Bis heute lebt Ilse Ruth Seitenbach in Forest Hills, New York, und feierte am 1. August 2024 ihren hundertsten Geburtstag.[18] Die Mannheimerin Anna Krämer, die Anfang der 1990er Jahre als Au Pair bei der Familie Seitenbach auch Ilse Seitenbach kennen lernte, bis heute engen Kontakt zur Familie hat und auch anlässlich des hundertsten Geburtstags Ilse Seitenbach besuchte, berichtete, dass diese sich über das Projekt und das Vorhaben einer Stolpersteinverlegung für ihre Familie sehr gefreut habe. Sie berichtete auch, dass Ilse Seitenbach nie mehr nach Deutschland zurückgekehrt sei und Deutschland immer nur als „da draußen“ bezeichnet habe. Ihr Enkel Justin konnte ihr im Dezember 2024 einige Fragen stellen, die der Leistungskurs zusammengetragen hatte. An ihr Leben in Deutschland und die Erlebnisse in den Konzentrationslagern erinnerte sie sich nicht mehr. Sie lebt im Hier und Jetzt und erfreut sich an ihrem Urenkel River, wie in einem Video, das Justin schickte, zu sehen ist.
Am 28. Februar 2025 fand vor dem Haupteingang der Röhmschule im Beisein von Ilse Seitenbachs Enkelkindern, Justin und Johanna, sowie des Urenkels River und Justins Frau eine Gedenkveranstaltung für die Familie Preis-Seitenbach, insbesondere für Ilse, statt.[19] Der 13er Geschichtsleistungskurs moderierte die von Beatrix Merkert geplante Veranstaltung sehr souverän zweisprachig. Anna Krämer, Sängerin und Gründerin des Kabarett-Quartetts „Schöne Mannheims“, umrahmte die Veranstaltung mit Liedern (Georg Kreislers „Lola Blau“, John Lennon’s „Imagine“ und dem hebräischen Friedenslied „Oseh shalom bimromav“) mehr als eindrucksvoll. Zahlreiche Besucher wohnten der Veranstaltung bei, darunter die 3. und 4. Klassen der Röhmschule, Großeltern und Eltern der Leistungskursschülerinnen und -schüler“, Kolleginnen und Kollegen der Röhmschule und ihre Rektorin Frau Voll, die eine bewegende Ansprache hielt, sowie der für die Grundschule zuständige Vertreter der Schulbehörde (ADD).
Im Anschluss an die Veranstaltung trafen sich die Familie Seitenbach, die Leistungskurs-schülerinnen und -schüler und deren Lehrerinnen sowie Mitglieder der Stolpersteininitiative und einige Eltern im Café Bohne zum gemeinsamen Austausch. Justin lud die Schülerinnen und Schüler des Kurses zu sich ein, sollten sie nach New York kommen.
Die Familien Seitenbach und Krämer bedankten sich sehr herzlich bei den Schülerinnen und Schülern und der Stolpersteininitiative (Beatrix Merkert, Elisabeth Merkert, Michael Wiesheu) für die bewegende und würdevolle Gedenkveranstaltung.

Foto: Hohenstaufen Gymnasium Kaiserslautern

Foto: Hohenstaufen Gymnasium Kaiserslautern

Foto: Hohenstaufen Gymnasium Kaiserslautern
Ilse Seitenbach sah sich zu einem späteren Zeitpunkt im Beisein ihrer Schwiegertochter eine Aufzeichnung der Gedenkveranstaltung, bei der sie die Hauptperson war, an. Ihr Kommentar zum Video: „I’m a star.“

Foto: Hohenstaufen Gymnasium Kaiserslautern
Alle Beteiligten haben bei diesem mehrmonatigen Projekt mehr gelernt und erfahren, als herkömmlicher Geschichtsunterricht jemals bieten kann.
Anna Gaedtke, Nils Holz, Sophie Jacob, Leo Klöckner, Emil Riedel, Marcel Rudel, Alexander Schira, Nils Schneider, Sophie Schneider, Charlotte Seepe, Emma Walter, Charlotte Wunder, Beatrix Merkert, Birgit Weitz, Michael Wiesheu
Anmerkungen
[1] Auch auf der Homepage des Hohenstaufen-Gymnasiums ist die Biografie von Ilse Ruth Preis abrufbar: https://hsg-kl.de/biographie-von-ilse-ruth-preis/ (HSG – Unterricht am HSG – Fächer – Geschichte …)
[2] Foto: siehe Genogramm-Seite FamilySearch https://www.familysearch.org/ark:/61903/3:1:3Q9M-CSMJ-L4DD-L?cc=2060123 und Einwanderungsdokumente aufrufbar bei FamilySearch nach Anmeldung bei https://www.familysearch.org/ark:/61903/3:1:3Q9M-CSMJ-L4DD-L?cc=2060123)
[3] Stadtarchiv Kaiserslautern, Meldekarte
[4] Fallot-Burghardt, Willi: Die Machtübernahme durch die Nationalsozialisten in Kaiserslautern im Frühjahr 1933. Eine Fotodokumentation, in: Jahrbuch zur Geschichte von Stadt und Landkreis Kaiserslautern, Band 34/35, Kaiserslautern 1996/97, S.184
[5] Kirsch, Hans: Sicherheit und Ordnung betreffend, Geschichte der Polizei in Kaiserslautern und in der Pfalz 1276-2006, Kaiserslautern 2007, S. 435
[6] Informationen zur politischen Bildung 1/2012: Nationalsozialismus: Aufstieg und Herrschaft, S. 73
[7] Vries, Erna de: Der Auftrag meiner Mutter. Eine Überlebende der Shoah erzählt, Berlin 2011, S. 20-25
[8] Projekt Zeitlupe e.V., Erna de Vries, Ich wollte noch einmal die Sonne sehen, ca. 2011 (http://www.projektzeitlupe.de/)
[9] Kirsch, Sicherheit und Ordnung betreffend, S. 438-447
[10] Stadtarchiv Kaiserslautern, Meldekarte
[11] Kirsch Sicherheit und Ordnung betreffend, S. 451-453
[12] Paul, Stadtarchiv Karlsruhe
[13] New York, Eastern District Naturalization Petitions, Naturalization records, cert. no. 458852-459250, 14 Apr.-4 May 1948, aufgerufen bei familysearch
[14] Paul, Roland: Pfälzer Juden und ihre Deportation nach Gurs, Kaiserslautern 2017, S. 294
[15] RONALD SEITENBACH Obituary (2012) – New York, NY – New York Times (legacy.com)
[16] Foto: https://www.facebook.com/photo.php?fbid=10212659702226964&set=pb.1217821038.-2207520000&type=3
[17] Foto: https://www.instagram.com/p/Czhxx3yglOt/?igsh=MXc2cnQwZDBjcXpiNA==
[18] Ilse R Seitenbach, Forest Hills, NY (11375) – Spokeo
[19] Siehe auch an anderer Stelle den Beitrag von Elisabeth Merkert „Ilse Ruth Preis, eine Schülerin der jüdischen Sonderklasse der Röhmschule, ist nicht vergessen“: Ilse Ruth Preis, eine Schülerin der jüdischen Sonderklasse der Röhmschule, ist nicht vergessen – Stolpersteine in Kaiserslautern. Auch „Die Rheinpfalz“ berichtete über die Gedenkveranstaltung.


