Biografie der Familie Löwenstein

Von Georg Emme und Verena Lörsch

Die Stolpersteine für die jüdische Familie Löwenstein wurden am 7. September 2025 vor deren ehemaligen Wohnhaus im Benzinoring 15/Ecke Ottostraße in Kaiserslautern verlegt.

Warum Stolpersteine für die „Löwensteins?“

Brigitte Braun, eine noch lebende Zeitgenossin und ehemalige Freundin der Anna Löwenstein, schrieb in ihren Erinnerungen „Wir wollten leben …“, dass in ihrer Nachbarschaft im Benzinoring in Kaiserslautern die jüdische Familie Löwenstein gewohnt hatte. 

„Unsere Nachbarin zur Linken … lag stundenlang im Fenster und beobachtete, was so auf der Straße vor sich ging. Ihre beiden Söhne waren SA Männer, … und so konnten sie Judenfreundschaften nicht dulden und versagte mir an Tagen, an denen sie mich bei den Löwensteins beobachtete, das Lakritzröllchen, was ich sonst oft bekam“.

Quelle: Brigitte Braun, Wir wollten leben … Erinnerungen an meine Kindheit und Jugendjahre aus den Jahren 1929 bis 1948, Seite 80

Die Autorin dieser Zeilen, Brigitte Braun, war in einem ähnlichen Alter wie Anna Löwenstein und mit dem Mädchen befreundet. Erst durch den Hinweis auf die Nachbarsfreundin Anna in Brauns Lebenserinnerungen aus den Jahren 1929 bis 1948 wurde ich auf die Familie Löwenstein aufmerksam.

Neben den Erzählungen der Brigitte Braun stützen sich die folgenden Rechercheergebnisse vornehmlich auf Akten aus dem Kaiserslauterer Stadtarchiv sowie Dokumente aus dem Arolsen-Archiv.

Die Löwensteins – ein normales Leben bis 1933

Die Löwensteins waren eine ganz normale Familie. Eine jüdische Familie in Kaiserslautern. Vater Sally Löwenstein war Eigentümer und Inhaber des Herren-Konfektionsgeschäfts „S. Löwenstein“ in der Fackelstrasse 26 mit bester Innenstadtlage. Heute befindet sich auf dem damaligen Grundstück der Neubau der Sparkasse Kaiserslautern bzw. das Schnellrestaurant „Dean and David“.

Das Geschäft mit Herrenkonfektion, Schuhe und Knabenbekleidung existierte seit 1905. Im Adressbuch 1909 wird das Geschäft sogar erweitert auf „Herren- und Damenkonfektion und Schuhwaren“.

Dank an das Stadtarchiv Kaiserslautern.
Das Foto wurde zur Verfügung gestellt mit der Vermutung, dass der Herr vor dem Verkaufsraum des Sally Löwenstein (das dritte Geschäft auf der linken Seite) möglicherweise auch er selbst ist. Das Geschäft des Sally Löwenstein, gelegen in bester Lage im Geschäftszentrum der Stadt.
Quelle: Privatbesitz Familie Löwenstein

Das Gebäude wurde beim Bombenangriff der Amerikaner am 29.08.1944 komplett zerstört. 1952 haben die Eheleute Raiser das Grundstück käuflich erworben. Sie stellten den Antrag für Wiederaufbau, welcher 1954 abgeschlossen war.

Man kann davon ausgehen, dass die Löwensteins eine angesehene und voll integrierte Geschäftsfamilie in Kaiserslautern waren. Die beiden Kinder – Anna Löwenstein, geboren am 29.01.1909, und ihr Bruder Hermann Löwenstein, geboren am 05.02.1910 in Kaiserslautern – sind auch hier zur Schule gegangen und aufgewachsen. Der Umzug in das repräsentative Gründerzeithaus Benzinoring 15 erfolgte 1930. Vorher lebte die Familie in der Kaiserstraße 12.

Sally Löwenstein
Quelle: Familie Liddel

Drangsalierung und Verfolgung

Die politische Stimmung und die aufkommende Judenfeindlichkeit in der Weimarer Republik erschwerten das Leben von Juden in Deutschland nach und nach. Die Hetzblätter, wie der Stürmer ab 1923 verbreiteten Hasspropaganda in Bild und Text, Völkische Verbände führten große Kampagnen gegen den sog. „jüdischen Einfluss“ in Politik, Wirtschaft und Kultur. Nach der Machtergreifung Hitlers wurden die Repressionen immer belastender für Jüdinnen und Juden. Dies galt sicherlich auch für das Privatleben.

Als etablierter Geschäftsmann war Sally Löwenstein gezwungen sein Geschäft zu verkaufen. Ab März/April 1933 wurden die Zwangsmaßnahmen weiter verschärft. Das führte bei einigen jüdischen Geschäftsbesitzern später zu Insolvenzen oder zur Flucht ins Ausland. Nicht wenige wurden Opfer des Holocaust. Der reichsweite Judenboykott wurde also auch in Kaiserslautern umgesetzt. Um potenzielle Kundschaft zu verunsichern und abzuschrecken, wurde ein SA-Posten vor jüdischen Geschäften postiert. Unter der sogenannten „Arisierung“ verstand das NS-Regime den Zwangsverkauf jüdischer Geschäfte und Betriebe an sog. „arische“, nichtjüdische Käufer, meist unter Wert. Letztendlich wurde nach der Pogromnacht 1938 alle jüdischen Geschäfte zwangsarisiert.

Die Aufgabe des Geschäfts an der Fackelstraße 26 war den immer schärferen Verordnungen des Dritten Reiches geschuldet. Sie führten in den wirtschaftlichen Ruin.

Sally und Florentine Löwenstein müssen Kaiserslautern verlassen

Die Zwangsenteignung, die Beschlagnahmungen und der Raub der Waren machten den Löwensteins das Leben in Deutschland unerträglich. Als im Zuge der Progromnacht 1938 die Wohnungseinrichtung mitsamt dem Hausrat demoliert und das Geschäft an der Fackelstraße zertrümmert wurde, stand für die Familie fest: Sie müssen Deutschland verlassen. Das Geschäft konnte die Familie nicht mehr ernähren und so war Sally gezwungen, aufzugeben und die Flucht ins Ausland vorzubereiten.

Foto Florentine Löwenstein, geb. Meyer.
Quelle: Privatbesitz Familie Liddel

Im Februar 1939 zogen Sally und Florentine Löwenstein nach Mannheim, wo sie bis mindestens Ende Juli 1939 blieben. Dann flüchteten die beiden zuerst nach Straßburg. Inzwischen hatten die Behörden die Wohnungseinrichtung beschlagnahmt und sie wurde versteigert. Das Geschäftshaus in der Fackelstraße 26 war also zwangsenteignet, das Wohnhaus am Benzinoring 15 weit unter Wert an die Wehrmacht verkauft. Die willkürliche Strafsteuer (Verordnung über eine Sühneleistung der Juden deutscher Staatsangehörigkeit, im NS-Jargon „Zwangsentjudung“ genannt) von 1938 und die berüchtigte Reichsfluchtsteuer, die eine weitgehende Enteignung bedeutete, hatte die Familie zusätzlich geschädigt. Die Stadt hatte zwar Interesse am Kauf, aber bis 1944 kam dieser nicht zustande.

In Strasbourg aufgegriffen brachte man die Löwensteins in das Internierungslager im französischen Vittel.

Das Lager Vittel befand sich seit 1941 in der besetzten Zone Frankreichs. Zuerst für britische und US-amerikanische Soldaten eingerichtet, diente es als ein Modell-Internierungslager mit vergleichsweise besseren Bedingungen. Das Lager – bestehend aus Wohnungen und Lauben – diente Propagandazwecken und später dann als Tauschobjekt. Die deutschen Besetzer planten den Austausch britischer und amerikanischer Zivilisten gegen deutsche Internierte im Ausland.

Im Juni 1944 konnten Sally und Florentine Löwenstein im 3. Deutsch-Palästina-Austausch mit weiteren 242 Personen nach Haifa/Palästina zu ihrer Tochter Anna Jonas ausreisen. Anna Löwenstein hatte 1934 in Kaiserslautern den aus Frankfurt/M. stammenden Theodor Jonas geheiratet und war 1936 nach Palästina ausgewandert. Nach dessen Tod wurde Anna Jonas wieder in Deutschland 1956 eingebürgert.

Sally und Florentine Löwensteins konnten sicherlich nur ausreisen, weil Florentine einen französischen Pass hatte und dies offiziell belegen konnte. Das Arolsen-Archiv beschreibt dieses Vorgehen aus dem Kriegsjahr 1944: Demnach gehörten 42 internierte Personen – darunter auch die Löwensteins – aus dem Lager Vittel/Frankreich zu einem Kontigent von auszutauschenden Juden aus dem KZ Bergen-Belsen. Sie erreichten Haifa am 10.7.1944. Dort waren sie bei Tochter und Schwiegersohn in der Hillel Street 27 gemeldet.

Nach dem Krieg kehrte Sally Löwenstein zurück nach Kaiserslautern. Nach einem Krankhausaufenthalt ist er am 06.01.1954 in Kaiserslautern verstorben. Er wurde auf dem jüdischen Friedhof in Kaiserslautern beerdigt. Florentine Löwenstein verstarb am 24.02.1951 in Montpellier.

Hermann Löwenstein

Seine Schulausbildung absolvierte Hermann Löwenstein in der Oberrealschule. Nach seiner Ausbildung in Mannheim ist Hermann Löwenstein nach Augsburg in die Friedberger Straße 9 und später in die Armenhausgasse 9 zur jüdischen Familie Bernheimer verzogen. Die Wohnhäuser waren sogenannte Pionierlager, in denen sich Juden zur Ansiedlung in Palästina ausbilden ließen. Vermutlich beabsichtigte auch Hermann Löwenstein, wie seine Schwester, auszuwandern. Die Lager wurden nach der Progromnacht aufgelöst und die Bewohner im Konzertrationslager Dachau inhaftiert. Das Arolsen-Archiv vermerkt, dass auch Hermann Löwenstein in Dachau 1938 inhaftiert war und am 8.12.1938 wieder entlassen wurde.

Hermann Löwenstein flüchtet 1939 – vor Ausbruch des Krieges – nach Großbritannien und diente dann während des Krieges in der britischen Armee in einer Einheit der Royal Electrical and Mechanical Engineers.

Foto: Hermann Löwenstein, Klassenfoto Kreis Oberschule Kaiserslautern, 1. Reihe, vierter von rechts
Kreisoberrealschule Kaiserslautern, heute: Albert-Schweizer-Gymnasium.
Quelle: Stadtarchiv Kaiserslautern

Hermann Löwenstein, 
Harry Armand Liddel
Quelle: Privatbesitz Familie Liddel

Nach seiner Ankunft in Großbritannien hat Hermann Löwenstein seinen Namen geändert. Seit 1947 ist sein neuer Name Harry Armand Liddel in einem Vorort von Liverpool in Großbritannien verbürgt. In den Meldeunterlagen ist die Berufsbezeichnung „Gärtner und Mechaniker“ vermerkt. Er heiratete und hatte zwei Söhne. Harry Armand Liddel starb in der Nähe von Liverpool am 17.11.1989.