Recherche: Michael Wiesheu
Am 10. September 2021 wurden in der Weberstrasse 24 in Kaiserslautern für die Familie von Alexander und Irma Felsenthal, geborene Lippmann, 5 Stolpersteine gelegt.
Der Vater:
Die Mutter:
Die Kinder:
1902 aus dem Glantal nach Kaiserslautern
1. Handelsgeschäft in der Ländelstraße
1924 bis 1928 Geburt der 3 Kinder
1933 ändert sich alles
Kaiserslauterer Juden ergreifen die Flucht
-Alex Felsenthal bleibt
November 1938: Nach der Pogromnacht in das KZ Dachau
Aus der Heimatstadt Kaiserslautern vertrieben
Oktober 1940: Lager Gurs
-Verlust der Freiheit
Alexander Felsenthal muss 1942 nach Auschwitz,
1944 ist er tot
1946/1947: neues Leben in Amerika und Palästina
Alexander Felsenthal (genannt Alex), wird am 27. April 1896 in Odenbach geboren und kommt als Kind mit seinen Eltern und 7 Geschwistern aus Odenbach nach Kaiserslautern.
Seine Vorfahren waren Handelsleute. Alexanders Eltern eröffnen in Kaiserslautern verschiedene Geschäfte. Alex und mehrere seiner Geschwister haben später ebenfalls eigene Betriebe.
1923 heiratet er die am 9. März 1902 in Grünstadt geborene Irma Lippmann.
Die Töchter Elisabeth (Liesel), Gertrude und der Sohn Heinz Jakob werden geboren. 1925 lebt Alexander mit seiner Familie im Grünen Graben 2a im eigenen Haus.3
Nach der Machtübernahme der Nationalsozialisten ändert sich ihr Leben radikal, sie sind zunehmend Schmähungen und antijüdischen Gesetzen ausgeliefert, die die Berufsausübung und persönliche Freiheit einschränken.
Viele Juden verlassen in den 30er Jahren die Stadt. Bruder Hermann, Alexanders Geschäftspartner, emigriert 1937 nach Argentinien. So bleibt ihm erspart, was Alexander und die noch in Kaiserslautern wohnenden Juden ein Jahr später erleben müssen.
Ob bei den reichsweiten Judenpogromen in der Nacht vom 9. zum 10. November 1938 auch die Geschäfte der Felsenthals von Nazi-Schlägern heimgesucht wurden, ist nicht überliefert.
Wie die meisten jüdischen Männer wird Alexander festgenommen und bis kurz vor Weihnachten 1938 im Konzentrationslager Dachau inhaftiert.
Wieder in Freiheit flieht er mit seiner Familie nach Mannheim, wo viele pfälzische Juden in der Anonymität der Großstadt Zuflucht suchten und der Verfolgungsdruck geringer ist.
Von dort werden die 5 Felsenthals am 22.10.1940 mit Hunderten von süddeutschen Juden in das südfranzösische Lager Gurs deportiert.
Während seine Frau Irma und die 3 Kinder die Kriegszeit zeitweise in Lagerhaft in Frankreich überleben, wird der Familienvater im August 1942 nach Auschwitz deportiert und dort im März 1944 ermordet.4
Irma Felsenthal bleibt mit der Tochter Gertrude und dem Sohn Heinz in Frankreich, wo sie in der Nähe von Lyon lebt. Im Mai 1947 emigriert sie mit den beiden Kindern nach New York City. Dort verstirbt sie am 13. Februar 1980. Gertrude stirbt am 31. Juni 1986 in Hamdon, Connecticut.
Heinz nennt sich in den USA Harry. Er wohnt noch 2010 in Bronx/New York.
Liesel Felsenthal wird am 19. August 1942 aus dem Lager Gurs entlassen und gelangt 1946 nach Palästina. Sie ist am 16. Dezember 2000 in Beit Nakofa/Israel gestorben.5
Was über das Leben und Schicksal der Familie Felsenthal im Einzelnen noch bekannt ist:
Geschäfts- und Familiengründung der Geschwister Felsenthal in Kaiserslautern
Alexanders Eltern, Jakob und Bertha Felsenthal, meldeten sich mit ihren 8 Kindern am 2. Dezember 1902 in der Ländelstraße 46 in Kaiserslautern6 an und eröffneten verschiedene Handelsgeschäfte für Obst, Kohlen, Alteisen.7 Ab 1910 wohnten sie in der Glockenstraße 78.8
Die 8 Geschwister9:
- Sophie *24.4.1880 ∞ 15.4.1907 Emanuel Heilpern † ermordet 30.4.1942 Zamość /Polen10
- David *19.10.1881 ∞ in München † Argentinien
- Thekla *28.8.1883 ∞ 18.2.1913 Moses Sklarek † ermordet in Polen11
- Moritz *17.5.1885 ∞ 27.8.1913 Ida Johanna Kaufmann † USA
- Hedwig *16.12.1890 ∞ 12.6.1919 Friedrich Stauß † Argentinien
- Emil *11.9.1892 † im 1. Weltkrieg vermisst
- Alexander *27.4.1896 ∞ 9.3.1902 Irma Lippmann † ermordet 18.3.1944 Auschwitz
- Hermann *14.3.1898 ∞ 23.2.1928 Gertrud Felsenthal † Argentinien
Alle 4 Brüder hatten wie Alexander und wie ihr Vater den Beruf „Handelsmann“, auch die beiden Schwestern Thekla und Hedwig.12
Alexander wurde im 1. Weltkrieg, am 29. November 1915, zum Militärdienst einberufen.13 Ob er in den Fronteinsatz kam, ist nicht überliefert.
Mit seinem Bruder gründete er einen Großhandel mit Strumpfwaren „Gebrüder Alex und Hermann Felsenthal“ mit Firmensitz in der Kerststraße 12 und später an verschiedenen Lauterer Adressen, zuletzt in der Glockenstraße 4.
Ab 1933 lebte er mit seiner Familie im eigenen Haus in der Weberstraße 24, wo zuvor seine Schwester Sophie Heilpern gewohnt hatte, die mit ihrer Familie in die Rummelstraße 1 umgezogen war.14
1933 – 1939 – Die Nationalsozialisten kommen an die Macht – Missachtung – berufliche Einschränkungen – Geschäftsschließungen-Vertreibung
Noch im Jahr 1936 gab es 2 Großhandelsgeschäfte für Wolle-, Strumpf- und Kurzwaren der Firma „Gebrüder Alex und Hermann Felsenthal“ in Kaiserslautern: In dem prächtigen Haus in der Glockenstraße 4 und in der Parkstraße 27.15
Doch es war für jüdische Geschäftsleute keine gute Zeit mehr. Die Nürnberger Gesetze vom September 1935 und eine Unzahl antijüdischer Gesetze und Verordnungen degradierten alle Juden zu Menschen zweiter Klasse.
Bruder Hermann war mit seiner Frau Gertrud und der Tochter Edith im September 1937 nach Buenos Aires geflohen und Alexanders Geschäfte waren spätestens mit seiner Internierung im KZ Dachau beendet.
Über das Leben der Familie in Kaiserslautern in den Jahren der Verfolgung ist kaum etwas überliefert. Zur Zeit des November-Pogrom waren die 3 Kinder zwischen 10 und 14 Jahre alt.
Als Schüler mussten sie ab 1936 in eine jüdische Sonderklasse in die Röhmschule gehen. Nach dem Pogrom wurden alle jüdischen Schüler aus der Röhmschule verjagt. Auch Liesel musste unter Schmähungen die Schule verlassen.17, 18 Danach arbeitete sie einige Zeit in einem Altersheim.19
Nach der Flucht nach Mannheim die Deportation nach Gurs
Die 5 Felsenthals wohnten 1939 in der Heinrich-Lanz-Straße 26 in Mannheim.20
Doch nur einige Monate später, am 22.10.1940, ereilte sie das gleiche Schicksal wie die meisten pfälzischen Juden in Baden, dem Saarland und der Pfalz, – die Verschleppung in das Lager im südfranzösischen Gurs.21
Alexander beantragte wegen beabsichtigter Auswanderung in die USA am 12.3.1941 die Entlassung. Er kam stattdessen am 19.2.1942 in eine Arbeitergruppe der „Tavailleur-Etranger“ in Buzy, Basses Pyrenees. Am 23.8.1942 wurde er von Septfonds nach Drancy und am 31.8.1942 nach Auschwitz verschleppt. Seine Tochter Liesel vermutete, dass er wegen Arbeitsunfähigkeit in das Vernichtungslager kam.22 Alexander war im Lager Auschwitz III (Blechhammer), wo er am 18.3.1944 für tot erklärt wurde.23,24
Seine Frau Irma und die Kinder mussten im Lager Gurs leben.
Die 16-jährige Liesel, schloß sich der Gruppe „Menorah“ an, die zusammen mit dem Lager-Rabbiner verschiedene kulturelle und soziale Aufgaben im Lager wahrnahmen.
Als 17-jährige hielt sie den Tagesablauf in Gurs in 18 kleinen Aquarellen fest.25
„Am 12.3.1941 beantragte [Liesel] die Entlassung aus Gurs wegen beabsichtigter Emigration in die USA. Sie wurde am 19.8.1942 nach Vic-sur-Cere entlassen. Sie war im August 1943 in Grenoble und kam 1946 nach Palästina. 1948 heiratete sie in Israel Walter (später Yehuda) Basnizki … und starb am 16.12.2000 Beit Nakofa, Israel.“26
Ein weiterer Bericht beschreibt die Zeit nach Liesels Lagerentlassung so:
„Liesel Felsenthal lebte zunächst unter falschem Namen in einem Kloster und kam 1942 nach Vic-sur-Cere, wo sie als Haushaltshilfe sowie im OSE-Kinderheim27 vermutlich bis Kriegsende arbeitete. Nach dem Krieg war Liesel Felsenthal für kurze Zeit als Lehrerin in Kinderheimen der OSE u.a. in Marseille tätig. Anfang 1946 emigrierte sie nach Israel und lernte im Kibbuz Neve Ilan bei Jerusalem ihren späteren Ehemann Yehuda (Walter) Basnizki kennen, der ebenfalls in Gurs interniert war. Im November 1948 heirateten sie in Jerusalem und zogen 1952, ein Jahr nach der Geburt ihrer Tochter Irith, in den Moschav Beit Nakofa, wo sie lange Zeit u.a. eine Hühnerfarm bewirtschafteten und Walter Basnizki zudem als Agrarökonom arbeitete.“ 28
Am 26. November 2000 starb Liesel Felsenthal als Alizia Basnizki in Israel.
Liesels Geschwister Gertrude (Trudel) und Heinz kamen mit Hilfe der jüdischen Hilfsorgsnisation OSE im November 1941 frei.29
Sie wurden „am 10.11.1941 in das Chateau Chabannes nach ´St. Etienne Du Turroc´ entlassen.
Die Mutter „Irma Felsenthal kam am 25.9.1942 nach Rivesaltes, am 26.11.1942 nach Gurs zurück. … Irma kam – wie ihre Mutter30 – am 17.9.1943 in das Camp de Septfonds , überlebte in Frankreich. Nach dem Krieg lebte sie [Irma] mit ihrer betagten Mutter und ihren Kindern Gertrude und Heinz in Lyon-Villeurbanne. … [Sie reisten] im Mai 1947 mit dem schwedischen Schiff ´Gripsholm´ in die USA. …
Irma Felsenthal starb am am 13.2.1980 in New York City.“ 31
Gertrude Felsenthal heiratete in den USA Howard Resnik und starb unter dem Namen Trudy Resnik am 16. Juli 1987 in New Haven im Alter von 60 Jahren.32
Heinz Felsenthal nannte sich in den USA Harry und lebte 2010 in Bronx/New York.33
Über das Lager Gurs hat der Journalist und Filmemacher Dietmar Schulz mehrere Filme produziert. In seinem 40-minütigen Film Das Elend vergessen schildert er die Lebensläufe von Künstlern und ihre Aktivitäten im Lager, dabei auch Liesel Felsenthal mit ihren 18 Aquarellen, die das Lagerleben beschreiben.34
Quellen:
1 Foto aus: Brigitte und Gerhard Brändle, Gerettete und ihre Retterinnen, Jüdische Kinder im Lager Gurs: Fluchthilfe tut not – eine notwendige Erinnerung, 2020, S.77 – brigitte-und-gerhard-braendle–gerettete-und-ihre-retterinnen.pdf (ekihd.de)
2 Foto aus: Paul Roland, Pfälzer Juden und ihre Deportation nach Gurs. Schicksale zwischen 1940 und 1945, Biografische Dokumentation, Institut für pfälzische Geschichte und Volkskunde Kaiserslautern, 217, S. 227-228
3 Adreßbuch Kaiserslautern 1925
4 Paul Roland, Pfälzer Juden und ihre Deportation nach Gurs. Schicksale zwischen 1940 und 1945, Biografische Dokumentation, Institut für pfälzische Geschichte und Volkskunde Kaiserslautern, 217, S. 227-228
5 dito
6 Stadtarchiv Kaiserslautern, Meldedaten
7 Alfred Wendel: Chronik Odenbach, Band 3 – Jüdisches Leben SS. 209-232
8 Adreßbuch Kaiserslautern 1910
9 Stadtarchiv Kaiserslautern, Meldedaten
10 Biografie Familie Heilpern – Stolpersteine in Kaiserslautern (stolpersteine-kl.de)
11 Für die Familie von Thekla und Moses Sklarek wurden in der Humboldtstraße 6 in Kaiserslautern am 10.7.2014 sieben Stolpersteine gelegt: Biografie Familie Sklarek – Stolpersteine in Kaiserslautern (stolpersteine-kl.de)
12 dito
13 Stadtarchiv Kaiserslautern, Meldedaten
14 dito
15 Adreßbuch Kaiserslautern 1936
16 Glockenstraße 4 in Kaiserslautern – Westpfalz Wiki
17 Auf dem Foto der jüdischen Schulklasse ist Liesel das Mädchen mit Brille in der zweitobersten Reihe links – s.:
18 Straub Johannes, Lauter Lauterer Schulen, Schulen in Kaiserslautern, 2006, S. 133
19 Wendland, Jörn, Das Lager von Bild zu Bild. Narrative Bildserien von Häftlingen aus NS-Zwangslagern Köln 2017, Böhlau Verlag, 409 S., -Liesel Felsenthal S. 200-201
20 Volkszählung 1939 – s.: MtL – Mapping the Lives
21 Ausführliche Dokumentation der Ereignisse bei Paul Roland, 2017
22 Yad Vashem, Internationale Holocaust Gedenkstätte, Zentrale Datenbank der Namen der Holocaustopfer – Zentrale Datenbank der Namen der Holocaustopfer – Angaben auf dem Dokument (yadvashem.org)
23 Paul Roland, 2017, S. 227
24 Gedenkbuch für die Opfer der Verfolgung der Juden unter der nationalsozialistischen Gewaltherrschaft in Deutschland 1933 – 1945, Gedenkbuch – Suche im Gedenkbuch (bundesarchiv.de)
25 Bilder: Yehuda Basnizki, entnommen aus Paul Roland, 2017, Anhang: Liesel Felsenthal – ihr Tageslauf in Gurs in Bildern S. 352 und S. 353
26 Paul Roland, 2017, S. 228
27 Jüdisches Kinderhilfswerk Oevrede secours aux entfants (OSE)
28 Wendland, Jörn, Das Lager von Bild zu Bild. Narrative Bildserien von Häftlingen aus NS-Zwangslagern Köln 2017, Böhlau Verlag, 409 S., -Liesel Felsenthal S. 200-201
29 Brigitte und Gerhard Brändle, Gerettete und ihre Retterinnen, S.77 – brigitte-und-gerhard-braendle–gerettete-und-ihre-retterinnen.pdf (ekihd.de)
30 Auch die aus Grünstadt stammende Großmutter der 3 Felsenthal Kinder, Amalie Lippmann, geborene Ullmann, *28.11.1876 in Kleinkarlbach war nach Gurs deportiert worden; auch sie überlebte – s. Paul Roland, 2017, S. 271
31 Paul Roland, 2017, S. 227 und 228
32 Grabfoto bei findagrave: Trudy Felsenthal Resnik (1926-1987) – Find a Grave Gedenkstätte
33 Paul Roland, 2017, S.228
34 Der Film Das Elend vergessen ist aufrufbar unter: Dokumentation: Das Elend vergessen – LEO-BW