Recherche: Dr. Gerd Maurer
Text für Gedenkfeier am 8. Februar 2015
Wir haben vor dem Haus Benzinoring 4 am 5. Februar Stolpersteine für Herrn Dr. Moritz Kühn, seine Ehefrau Emma geborene Bachmann und deren Tochter Maria Theresia Kühn verlegt.
Dr. Moritz Kühn wurde im Jahre 1855 – seine Ehefrau Emma, geborene Bachmann im Jahre 1863 in Unterfranken geboren. Beide waren Juden.
Das Ehepaar Kühn kam 1884 nach Kaiserslautern. Dr. Moritz Kühn war als praktischer Arzt bis 1899 – also 15 Jahre lang – tätig. Während dieser Zeit wurden die beiden Töchter des Ehepaares (Elsa Barbara Kühn – im Jahre 1884. Maria Theresia Kühn im Jahre 1885) in Kaiserslautern geboren und protestantisch getauft.
Im Jahre 1899 verzog die Familie Kühn nach Frankenthal – wo Dr. Kühn für 10 Jahre als Landgerichtsarzt tätig war. Im Oktober 1909 kehrte die Familie nach Kaiserslautern zurück. Herr Dr. Kühn übernahm die Stelle des Landgerichtsarztes in Kaiserslautern. Die Familie lebte am Stiftsplatz 10. Die berufliche Stellung von Dr. Kühn wird später als Bezirksarzt, Medizinalrat und Obermedizinalrat angegeben. Im 1. Weltkrieg war er Leiter des Kriegslazaretts in Kaiserslautern.
Die älteste Tochter Elsa Barbara Kühn heiratete im Jahr 1910 den Dipl.-Ing Eugen Zeitler aus Frankenthal und wohnte danach mit ihrer Familie in Köln. Die jüngere Tochter Maria Theresia war unverheiratet und lebte im Haushalt Ihrer Eltern.
Das Ehepaar Zeitler hatte 3 Kinder, die protestantisch getauft waren: Rudolf August Zeitler (geb. 1912 in Köln), Gertrud Zeitler (geb. 1913 in Köln) und Walter Zeitler (geb. 1917 in Mannheim).
Dr. Kühn war – wie auch seine Töchter und sein Schwiegersohn – ein begeisterter Bergsteiger und Mitgründer einer Sektion des Alpenvereins in Frankenthal. Im August 1922 traf ein schwerer Schicksalsschlag das Ehepaar Kühn: die älteste Tochter verunglückte mit ihrem Ehemann in den Berchtesgadener Alpen tödlich. Ihre Leichen wurden nie gefunden. Die Enkel (Rudolf Zeitler, damals 10 Jahre alt, Gertrud Zeitler, 9 Jahre alt und Walter Zeitler 5 Jahre alt) kamen zu den Großeltern und der Tante nach Kaiserslautern.
Ein Jahr später wurde Dr. Kühn (im Alter von 68 Jahren) in den Ruhestand versetzt. Bis zu diesem Zeitpunkt hatte die Familie am Stiftsplatz gewohnt. Im Sommer 1924 erfolgte ein Umzug in die Eisenbahnstrasse Nr. 63.
Das Ehepaar Kühn hat die Kinder Ihrer tödlich verunglückten Tochter großgezogen und Ihnen eine Ausbildung ermöglicht. Der älteste Enkel Rudolf hat Kunstgeschichte in Marburg, Berlin und Prag studiert und das Studium 1936 in Prag im Alter von 24 Jahren mit der Promotion abgeschlossen. Die Enkelin Gertrud Zeitler machte eine Ausbildung zur Wirtschaftlerin. Der jüngste Enkel Walter wurde Ingenieur.
Im Jahr 1937 zog das Ehepaar Kühn mit Tochter Maria Theresia und den beiden jüngeren Enkeln in das Anwesen Benzinoring 4. Dieses Anwesen wurde von Dr. Kühn erworben, da er aber – als Jude – zu diesem Zeitpunkt keinen Haus- und Grundbesitz mehr erwerben durfte, wurden die beiden jüngeren Enkel als Eigentümer in das Grundbuch eingetragen.
In der Reichskristallnacht am 9./10.November 1938 wurde die Wohnungseinrichtung der Familie Kühn zerstört. Die Familie floh zunächst nach Mannheim, kehrte jedoch etwa 14 Tage später nach Kaiserslautern in den Bezinoring zurück. Frau Emma Kühn hat die Erniedrigungen nicht ertragen. Sie verstarb im Alter von 76 Jahren an einem Herzinfarkt am 25. November 1938 und wurde auf dem jüdischen Teil des Hauptfriedhofes in Kaiserslautern bestattet.
Dr. Moritz Kühn wurde (im Alter von 85 Jahren) im Oktober 1940 zusammen mit seiner jüngsten Tochter Maria Theresia (damals 55 Jahre alt) wie viele pfälzische und badische Juden nach Gurs deportiert. Er verstarb etwa 6 Wochen nach der Deportation im Dezember 1940 im Lager Gurs. Seine Tochter Maria Theresia wurde von Gurs nach Auschwitz verschleppt und dort ermordet.
Für das Ehepaar Dr. Moritz und Emma Kühn sowie für deren Tochter Maria Theresia wurden am 5. Februar Stolpersteine vor dem Anwesen Benzinoring 4 verlegt.
Zum Schluss noch einige Daten zu den Enkeln des Ehepaares Kühn:
Rudolf Zeitler hat früh die schwarzen Wolken am Himmel über Deutschland erkannt. Im gelang im Jahre 1937 mit Hilfe der schwedischen Botschaft in Prag die Emigration nach Schweden. Er hat dort eine bemerkenswerte berufliche Karriere durchlebt. Er habilitierte sich 1954 an der Universität Uppsala und wurde dort 1965 zum Professor für Kunstgeschichte ernannt. Er war einer der profiliertesten deutschsprachigen Kunsthistoriker und weltweit angesehen. Er hat in Schweden eine deutsche Emigrantin geheiratet. Aus der Ehe gingen 2 Söhne hervor, die mit ihren Familien in Schweden leben. Rudolf Zeitler verstarb 2005 im Alter von 93 Jahren in Uppsala.
Gertrud Zeitler hat 1937 Kaiserslautern verlassen und die Nazizeit bei der Herrenhuter-Gemeinde in Königsfeld im Schwarzwald überlebt. Sie ist im Jahre 2003 (im Alter von 90 Jahren – ohne Nachfahren) in Königsfeld verstorben. Der jüngste Enkel Walter Zeitler hat in Kaiserslautern die Nazizeit überlebt, er hat bis 1953 in Kaiserslautern, danach an verschiedenen Orten im Süden und Südwesten Deutschlands gelebt und ist mit seiner Ehefrau im Jahre 1965 nach Kaiserslautern zurückgekehrt. Das Ehepaar hat keine Nachkommen. Walter Zeitler lebte – nach dem Tod seiner Ehefrau – in einem Alters- und Pflegeheim in Kaiserslautern. Er verstarb im Dezember letzten Jahres im Alter von nahezu 98 Jahren.