Biografie Barbara Lippert

Recherche: Bernhard H. Gerlach, Kaiserslautern

Eine von „Jehovas Zeugen“ – ein Opfer der Nazizeit

Ich erinnere mit meiner Recherche an Barbara Lippert, eine von „Jehovas Zeugen“, die in der Nazizeit verfolgt wurden. Sie starb, weil sie an ihrem Glauben festhielt, der im Gegensatz zu der rassistischen und kriegerischen Ideologie der Nazis stand.

Ich gehöre nicht zu den „Zeugen“, ich bin als Historiker auf die Akten gestoßen, in denen der Lebensweg einer Frau aus Kaiserslautern dokumentiert wird, und danke den Archiven in Saarbrücken, Homburg, Speyer, Klingenmünster und Kaiserslautern für die Unterstützung.
Von Barbara Lippert gibt es kein Foto, alle ihre Nachkommen oder Verwandten sind inzwischen verstorben. Manche Zusammenhänge muss man rekonstruieren, weil es auch für die „Ernsten Bibelforscher“ in jener Zeit keine Originalunterlagen aus Kaiserslautern gibt.

Ausstellungskatalog zur Wanderausstellung „NS-Psychiatrie in der Pfalz“

Am Montag, den 12.10.2015, haben wir vor dem Haus Fischerstr. 67 einen Stolperstein verlegt. Hier wohnte Frau Lippert mit ihren beiden Kindern, Martin und Elisabeth, zur Miete, damals in der Dr.-Frick-Straße, benannt nach einem pfälzischen Nationalsozialisten, der 1946 hingerichtet wurde. In ihrer Wohnung fanden auch die Versammlungen der Ernsten Bibelforscher statt, weswegen sie 1936 verhaftet wurde.

Barbara Lippert, geborene Bach, wurde am 20.1.1886 als Tochter des Ehepaares Franz und Charlotte Bach geboren und protestantisch getauft. Ihr Vater war Brunnenmacher, der im Rahmen der neuen Wasserversorgung in KL und für die Tiefbrunnen der Brauereien tätig war.

In der aufstrebenden Industriestadt, die im Jahre 1900 etwa 50.000 Einwohner hatte, wohnten die Eltern in der Nähe des Pfaffplatzes ( Bleichstr. 8 ) und auf dem Kotten ( Kellerstr. 5 ). Barbara hatte wohl keine Geschwister.

Nach dem Besuch der Volksschule begann sie eine Ausbildung zur Schneiderin. Dabei muss sie auch in anderen Städten ihre Ausbildung fortgesetzt und erweitert haben, denn sie wird in den späteren Akten immer als Schneidermeisterin bezeichnet, zweifellos eine weitergehende Qualifizierung unter den über 100 Schneiderbetrieben in Kaiserslautern.

Am 6.10.1917 meldete sie sich aus Köln nach Kaiserslautern zurück und heiratete am 18. Mai 1918 den Schneidermeister Theobald Lippert, der ebenfalls viel herumgekommen und zuletzt als Soldat im 1. Weltkrieg eingesetzt war. 2 Kinder wurden geboren: Martin am 25.3.1919 und Elisabeth am 28.4.1920. Die Familie wohnte in der Moltkestr. 38.

Nach Trennung und Scheidung des Ehepaares (31.5.1924) wohnte Frau Lippert unter verschiedenen Adressen. Sie hatte ihren Arbeitsraum wohl immer in ihrer Wohnung eingerichtet, konnte sich und ihre beiden Kinder von ihrer Arbeit ernähren. Ich denke, in ihrer Situation stand sie mitten im Leben – das muss man betonen, weil ihr später vorgeworfen wurde, sie könne auf Grund einer psychischen Labilität ihre Kinder nicht richtig versorgen.

Seit dem 14.3.1934 wohnte sie in der Fischerstraße. Es ist wahrscheinlich, dass sie schon vor 1933 Verbindungen zu der kleinen Gruppe der Ernsten Bibelforscher aufgenommen hat, die sich seit 1931 „Jehovas Zeugen“ nannten. In Kaiserslautern sind die ersten Mitgliederversammlungen seit 1920, dann ab 1928 belegt.

Diese Glaubensgemeinschaft geht auf Charles Russell zurück, der um 1880 in den USA diese Religionsgemeinschaft formte.
Auch heute noch findet sich die Zentrale der Watch Tower Society in New York. Es gibt wohl über 8 Mio. Jehovas Zeugen weltweit (2015).
Die Zentrale für diese missionarische Glaubensgemeinschaft in Deutschland befindet sich im Taunus. Knapp 200.000 aktive Zeugen haben sich in örtlichen Versammlungen organisiert. Das Verteilen von Zeitschriften, Hausbesuche, gemeinsames Bibelstudium und Gottesdienste halten diese Gemeinschaft zusammen. Zu größeren Tagungen treffen sie sich in Kongresszentren, wie zum Beispiel im Kongresszentrum in Bingen.
Zeugen Jehovas betonen, damals wie heute, dass sie sich in ihrer Sicht der Bibel und den daraus abgeleiteten Glaubensvorstellungen durchaus von verschiedenen christlichen Kirchen unterscheiden, so in der Gottesvorstellung, der Bedeutung Jesu, der Trinität, der Zukunftsvorstellung und in manchen ethischen Bereichen. Obwohl sie sich selbst als eine theokratische Organisation verstehen, so sehen sie ihre Haltung zu jeder Staatsform durchaus neutral, soweit diese sie in ihren Grundsätzen nicht beeinträchtigt.

Heutzutage haben die „Zeugen“ Versammlungsräume in Hohenecken, Barbara Lippert und die kleine Gruppe von „Zeugen“ versammelten sich damals allerdings in Wohnzimmern, ein eigener Saal ist vor und nach 1933 nicht bekannt.

Wie waren Barbara Lippert und die anderen Zeugen in Kaiserslautern tätig?
Barbara Lippert war als aktives Mitglied der Zeugen Jehovas tätig. Sie verteilte 1933 bis 1936 Zeitschriften und Broschüren, die sie – außerhalb der Postzustellung – in einem Verteilersystem erhalten hatte. In ihrer Wohnung fanden auch Versammlungen zum Bibelstudium statt.
Für ein Wiedergutmachungsverfahren bestätigte 1959 eine andere Zeugin, dass Frau Lippert nach 1933 zu der Versammlung Kaiserslautern gehörte. Ihr Mann, Wilhelm Lichtenhagen, war deshalb auch mehrmals inhaftiert.

Begonnen hatte die Verfolgung der Zeugen Jehovas nach der Reichstagsbrandverordnung vom 28. 2. 1933, am 24. Juni 1933 wurde die Organisation in ganz Deutschland verboten. Unter Historikern sind die Ursachen und Umstände der Verfolgung der Zeugen Jehovas durchaus umstritten, auch die Bewertung der Taktik, wie sie sich gegen die Verfolgung wehrten. Bei vielen Nazis galten sie als eine von Juden und Freimaurern finanzierte Organisation, die mit ihrem Pazifismus die innere Einheit Deutschlands bedrohte.

Von den 30.000 Zeugen im Jahre 1933 waren etwa 10.000 zeitweise inhaftiert, etwa 2.000 in einem Konzentrationslager, wo es ein eigenes Erkennungszeichen gab (den lila Winkel). Etwa 1.500 Zeugen kamen in der Nazizeit ums Leben, davon fast 300 Kriegsdienstverweigerer.
Ein Gedenken an diese besondere Gruppe von Häftlingen gibt es in Sachsenhausen und in verschiedenen anderen Lagern.

Für viele Zeugen in Deutschland hatte ihre Weigerung, an den Kundgebungen zum 1. Mai teilzunehmen, die fristlose Entlassung aus ihrem Arbeitsverhältnis zur Folge. Teilweise erhielten sie keine Rentenzahlungen mehr.
Die Zeugen erklärten Adolf Hitler zum Antichrist, verweigerten die Teilnahme an öffentlichen Veranstaltungen, verweigerten den Hitlergruß, nahmen nicht an Wahlen teil.

„Jehovas Zeugen“ in Kaiserslautern waren jedenfalls für die Gestapo so auffällig, dass etwa ein Dutzend der Zeugen schon 1934 in einem ersten Prozess vor dem Landgericht Frankenthal angeklagt wurde wegen Verstoßes gegen das Verbot der öffentlichen Betätigung. Barbara Lippert wurde am 13.6.1934 zu 6 Wochen Haft verurteilt (teilweise erlassen). Andere Zeugen Jehovas aus der Pfalz wurden aber verurteilt oder kamen nur unter Auflagen frei.

Am 10. Februar 1936 wurde Barbara Lippert wieder verhaftet. Es ist anzunehmen, dass sie observiert wurde, oder sie wurde durch Beobachter in der Nachbarschaft verraten.
Sie kam zunächst ins Gefängnis Kaiserslautern, von dort ins Gerichtsgefängnis Frankenthal.

Barbara Lippert kam wieder vor das am Landgericht Frankenthal eingerichtete Sondergericht, wo sie sich wohl so aufsässig, renitent oder widerständig zeigte, dass sie zunächst für einige Wochen Arrest in die Heilanstalt Frankenthal eingewiesen wurde.
Es gab zwar auch vor dem Sondergericht Verteidiger, aus den Akten ist aber ihre Aktivität nicht ersichtlich. Die Sondergerichte sollten auf Anweisung von Berlin hin schärfer durchgreifen.
Im Bericht ihrer Tochter (Dokument von 1959) werden die überraschende Verhaftung und die Bedrängung durch die Gestapo anschaulich geschildert.
Nach dem Krieg fasste ein Polizist in Kaiserslautern die Phasen Verhaftung, Anklage und Psychiatrisierung zusammen. Von der Verwaltung der Stadt Kaiserslautern wurde sie ausgebürgert, auch der Hausrat beschlagnahmt, die in Ausbildung befindlichen Kinder bei entfernten Verwandten untergebracht.

Das Sondergericht beim Landgericht Frankenthal führte das Verfahren gegen Barbara Lippert nicht zu Ende. Es ist aus den Akten nicht ersichtlich, ob die Richter eine Verurteilung vermeiden wollten oder nur einen für sie bequemen Ausweg suchten.

Barbara Lippert verbrachte, gerade 50 Jahre alt, die Jahre 1936-1942 in der Heil- und Pflegeanstalt Frankenthal. Ihr körperlicher Gesamtzustand wird in allen ärztlichen Beurteilungen als normal, jedenfalls ohne Herzprobleme, beschrieben, ihre seelische Verfassung als unauffällig, jedenfalls ohne Anzeichen von Schizophrenie, wie die Klinikleitung in Klingenmünster nach dem Krieg in einem Schreiben behauptete, das zur Vertuschung ihrer wahren Todesumstände diente.
Auch von Frankenthal aus wurden Kranke 1940 und 1941 im Zuge der Euthanasie in Tötungsanstalten deportiert, jüdische Patienten wurden im Oktober 1940 nach Gurs deportiert.

Barbara Lippert blieb bis zum 26.7.1942 in Frankenthal und wurde dann in die 1939/1940 leergeräumte Anstalt in Klingenmünster verlegt. Hier gab es mit neuen Patienten ab 1941 die sogenannte „wilde Euthanasie“, wobei viele Patienten durch überdosierte Medikamente oder den Entzug von Nahrung ermordet wurden.
Es gab eine überdurchschnittliche Sterberate, fingierte Todesbescheinigungen, den plötzlichen Tod körperlich gesunder Patienten und zwei Hungerstationen, auf denen Männer und Frauen nach dem bayerischen Hungererlass von 1943 nur noch nachrangig mit Nahrungsmittel versorgt wurden. (Klingenmünster hatte 1943-1945 die höchste Sterberate aller bayerischen Anstalten. Über 1800 Patienten wurden auf dem Klinikfriedhof und in Massengräbern begraben.)

Barbara Lippert starb dort am 11. Januar 1944 an einem Hungerödem (so die Aussagen in den Krankenakten), keine 60 Jahre alt. Sie hat dort kein eigenes Grab gefunden.
Sie wurde ermordet – ihren Tod unter diesen Umständen kann man zu Recht so bezeichnen.

Erst ab 1986 begann in der Pfalz die Aufarbeitung dieser nationalsozialistischen Verbrechen,
in verschiedenen Büchern oder in einer Wanderausstellung . Im Pfalzklinikum erinnert ein Denkmal an die verschiedenen Opfer in dieser „Heil-Anstalt“. Manche Ärzte konnten dort nach 1945 weiter amtieren.

Im Gedenken an das außergewöhnliche Lebensschicksal von Barbara Lippert hat die Stolperstein-Initiative diesen Stolperstein verlegt,
als Erinnerung an ein frühes Mitglied von „Jehovas Zeugen“ in Kaiserslautern,
in Respekt vor ihrem aus dem Glauben motivierten Widerstand.

Quellen:

  • Stadtarchiv Kaiserslautern, Meldekartei
  • Stadtarchiv Homburg/ Saar, Auskünfte zu Nachkommen
  • Landesarchiv des Saarlandes, Saarbrücken, Wiedergutmachungsakten
  • Landesarchiv Speyer, Gerichtsakten Frankenthal
  • Landesarchiv Speyer, Patientenakten Klingenmünster