Biografie Bertha Werle, geb. Grünewald

Recherche: Roland Paul

Unter den am 22. Oktober 1940 nach Gurs deportierten Personen war auch die 65jährige Witwe Bertha Werle, geb. Grünewald.

Sie wurde am 30. Dezember 1874 in Mehlingen geboren als Tochter des Lumpensammlers Jakob Grünewald und seiner Frau Barbara Hirsch. Sie wuchs in Mehlingen mit drei älteren Brüdern und einer jüngeren Schwester (Sara) auf. Von den Geschwistern wissen wir, dass ihre Brüder Aron und Karl in jungen Jahren in die USA ausgewandert sind.

Bertha wurde Näherin. Zwischen 1894 und und 1902 gebar sie in Mehlingen drei Kinder: Karl, Christina und Johanna. Am 4. Juni 1904 heiratete sie in Kaiserslautern – standesamtlich auf dem Rathaus, kirchlich im Pfarrhaus der Stiftskirche – den 20 Jahre älteren verwitweten Schneidermeister Karl Werle, der aus Otterberg stammte, protestantisch war, in Kaiserslautern lebte und aus seiner ersten Ehe auch drei Kinder hatte. Bertha Werle war vor ihrer Heirat zum protestantischen Glauben übergetreten.

Dem Ehepaar wurden vier Söhne und eine Tochter in Kaiserslautern geboren; der älteste Junge starb im Säuglingsalter. Die Familie wohnte zunächst in der Josefstraße 14a, dann in der Gaustraße 33, ab Januar 1922 als Mieter des Konrad Haffner in der Turmstr. 2 in Kaiserslautern, heute Am Schmiedeturm 4.

1933 starb ihr ältester Sohn Karl mit 38 Jahren und hinterließ Frau und drei Kinder. Berthas Ehemann Karl Werle starb am 4. November 1937 in Kaiserslautern im Alter von 84 Jahren. Kurz darauf verabschiedete sich ihre einzige, in Landstuhl lebende Schwester Sara Moses, geb. Grünewald und emigrierte mit ihrem Sohn nach New York. Bertha Werle lebte in den folgenden drei Jahren weiterhin in der Turmstraße, offenbar zusammen mit ihrer Tochter Christina.

In Gurs, möglicherweise schon auf dem Weg dahin, traf sie ihren Bruder Heinrich Grünewald, der mit seiner Frau und ihrer Tochter von Waldfischbach aus nach Gurs deportiert worden war.

Nach ihrer Ankunft in Gurs kam Bertha Werle in die Baracke 26 des Ilots K. Im Archiv des Départements Pyrénées Atlantiques in Pau fand ich einen Brief, den sie am 24. Juli 1941 aus dem Lager Gurs an das „Deutsche Oberkommando in Vichy“ schrieb:

Ich unterzeichnete Witwe Bertha Wehrle geboren am 30.12.1874 in Mehlingen bei Kaiserslautern Saarpfalz, religion: Evangelisch. Meine Eltern sind Religion frei. Nur meine verstorbene Mutter ist Jüdischer Abstammung gewesen. Meine fünf evangelische Söhne, wovon 3 im Felde sind, leben in Kaiserslautern. Mein verstorbener Mann ist Arier und Arischer Abstammung gewesen. Als damals alle Juden aus dem Badischen und Pfalz nach hier versetzt wurden, wurde ich auch, vielleicht aus versehen nach hier her gebracht. Nach dem Gesetz bin ich Prozentual mehr Arier als Jüdin und da ich ganz allein hier lebe und meine ganze Familie in Deutschland lebt, bitte ich doch das verehrte Deutsche Oberkommando sich meinen Aussergewöhnlichen Falles anzunehmen und genau Prüfen das alle hier niedergeschriebenen Angaben auf Wahrheit lauten, und damit es mir doch gestattet wird nach meiner Heimat Deutschland zurückzukehren.

Es ist unklar, ob der Brief jemals weitergeleitet wurde. Jedenfalls wurde Bertha Grünewald nicht nach Deutschland zurück gebracht, wie dies nachweislich der mit einem Arier verheiratet gewesenen Pauline Ewers aus Kirchheimbolanden gelang.

Bertha Werle blieb bis 19. Januar 1942 in Gurs und kam dann in das Lager Noé bei Toulouse, wo sie bis 17. August 1943 war. Von weiteren Deportationen blieb sie verschont, überlebte in Frankreich und kehrte am 10. Dezember 1945, von St. Laurent kommend, nach Kaiserslautern zurück. Sie wohnte zunächst wieder hier in der Turmstraße 2, zog Ende März 1946 in die Mannheimer Str. 82 und im November 1951 in die Friedenstraße 40. Hier starb sie im Alter von 78 Jahren am 24. Januar 1953 an Herzmuskelschwäche und Herz- und Kreislaufversagen. Ihr Tod wurde dem Standesamt Kaiserslautern von ihrem Sohn Ludwig Werle angezeigt. Sie hinterließ sechs Kinder und mindestens 15 Enkel sowie ihre Schwester Sara Moses und ihren Bruder Heinrich Grünewald in New York.

Die Todesanzeige erschien am 27. Januar 1953 in der Pfälzischen Volkszeitung. Bertha Werle, geb. Grünewald wurde am 28. Januar 1953 von Pfarrer Risch auf dem Kaiserslauterer Friedhof evangelisch beerdigt. Ihr Grab wurde um 1986 eingeebnet.

Quellen:

  • Stadtarchiv Kaiserslautern, Melderegister Nr. 18375.
  • Archives Département Pyrénées Atlantiques, Pau, Bestand 72W, Nrn. 70 und 258.
  • Verzeichnis der am 22. Oktober 1940 direkt aus der Pfalz deportierten Juden, zusammengestellt von Wilhelm Denig, veröffentlicht in: Dokumente des Gedenkens (= Dokumentation zur Geschichte der jüdischen Bevölkerung in Rheinland-Pfalz und im Saarland von 1800 bis 1945, Bd. 7), Koblenz 1974, S. 115-192, Nr. 235.
  • Pfälzische Presse, Jahrgang 1937.
  • Pfälzische Volkszeitung, Jahrgang 1953.
  • New York Passenger Lists, 1820-1957.
  • Roland Paul, Pfälzer Juden und ihre Deportation nach Gurs. Schicksale zwischen 1940 und 1945. Biographische Dokumentation, Kaiserslautern 2017, S. 92.
  • Auskunft der Friedhofsverwaltung Kaiserslautern.