Biografie Familie Auerbach

Recherche: Bernadette Künzel-Geiler

Geschichte der Familie Auerbach

Im Jahre 1908 zogen der Kaufmann Moses Wolf Auerbach (1856 – 1921) und seine Ehefrau Regina (Rivka) geb. Liebmann (1861 -1929) von Bad Cannstatt aus nach Kaiserslautern.

Die Familie stammte ursprünglich aus Sniatyn / Galizien.

Sie hatten fünf Kinder: Malka (* 1885), Leo (* 1888), Hermann (* 1897), Jetty (* 1895) und Anna (* 1905). Alle fünf wurden ermordet.

Stammbaum der Familie Auerbach: Für die Personen in den Kästchen wurden Stolpersteine verlegt. Die grün gekennzeichneten Personen überlebten den Holocaust. Annas Ehemann Ludwig Geczynski lebte nie in Kaiserslautern. Die Ehe wurde erst nach Annas Flucht in Frankreich geschlossen. Johannes Krämer ließ sich 1941 von Malka scheiden, als diese im Lager war.

Nachdem die Familie zuerst in der Mühlstraße gewohnt hatte, zog sie 1917 in die Kerststraße 18.

Der am 20.05.1888 in Sniatyn/Galizien geborene älteste Sohn der Familie, Leo (Leib) Auerbach, heiratete am 28.10.1919 die am 11.02.1890 in Kolomea / Galizien geborene Anna Minka Grünberg, die Tochter des Kaufmanns Heinrich (Chanoch) Grünberg und der Sarah geb. Strumberger.

Anna hatte zuvor in Wien gelebt, wo die Familie Grünberg nach dem 1. Weltkrieg mit ihren sechs Kindern ein neues Leben begonnen hatte.

Von Annas fünf Geschwistern fielen zwei ebenfalls dem Holocaust zum Opfer.

Im Oktober 1920 zog die ganze Familie Auerbach in das Haus Kerststraße 22, das als Eigentum erworben wurde.

Kerststraße 22 (auf der rechten Straßenseite) im Jahre 1936 nach dem Verkauf des Hauses (Foto: Stadtarchiv, übermittelt von M. Aulenbacher)

Am 4.09.1920 kam Tochter Erna zur Welt.

1923 folgte die kleine Frieda, die aber nur anderthalb Jahre alt wurde.

Frieda ruht ebenso wie ihre Großeltern Moses Wolf und Regina auf dem jüdischen Friedhof Kaiserslautern.

Am 13.05.1925 wurde schließlich Henryka geboren.

Anna und Leo Auerbach mit den Töchtern Erna und Henryka (Privatfoto Michal Auerbach)
Anna, Erna und Henryka Auerbach (Privatfoto Michal Auerbach)

Leo Auerbach führte ein gut gehendes Schuhgeschäft, das jedoch ab 1933 sehr unter den Boykottmaßnahmen durch die SA litt. In jedem Schaufenster musste ein Plakat mit der Aufschrift „Jüdisches Unternehmen“ aufgehängt werden. Zeitweise standen vor der Tür zwei SA-Männer mit einem großen Schild, auf dem zu lesen war: „Deutsche, kauft nicht bei Juden!“. Infolge dieser Maßnahmen musste das Anwesen im Jahre 1936 durch eine Zwangsversteigerung verkauft werden. Das Schuhgeschäft wurde von einer langjährigen Verkäuferin übernommen. Im Adressbuch von 1938 wird als neuer Eigentümer des Hauses die Stadtgemeinde genannt.

Daher zog die Familie im Januar 1936 in die Marktstraße 50.

Nach dem Besuch des jüdischen Kindergartens und der Grundschulzeit in der Röhmschule besuchte die ältere Tochter Erna das Mädchenlyzeum in der Burgstraße, wo sie sich vielen Belästigungen ausgesetzt sah.

Diese Schule musste sie 1935 verlassen. Als Mitglied des jüdischen Pfadfinderbundes, dem sie im Alter von 10 Jahren beigetreten war, bereitete sie sich ab dem 4.08.1935 in Rüdnitz (Bernau) bei Berlin sechs Wochen lang auf die Auswanderung nach Palästina vor, welche am 26.02.1936 mit dem Ziel Kibbuz Geva in Galiläa erfolgte.

Mit dabei war ihr Pfadfinderheft aus der Gruppenstunde. Dieses Heft hütet sie als wertvolle Erinnerung. An die Pfadfinderregeln hielt sie sich ihr ganzes Leben lang. Die wichtigste Regel lautet: „Ein Pfadfinder lässt sich von dem Wort unmöglich nicht abschrecken.“

Pfadfinderbuch Erna Auerbach, begonnen im Jahr 1930 (Foto: B. Künzel-Geiler)
Pfadfinderregeln (Foto: B. Künzel-Geiler)
Pfadfinderregeln und Aufbau / Symbole des Bundes (Foto: B. Künzel-Geiler)

Henryka war für die Auswanderung noch zu jung und blieb bei den Eltern. Sie war Schülerin der jüdischen Sonderklasse der Röhmschule.

Im Rahmen der sog. „Polenaktion“ wurden die Mutter und Tochter Henryka am 27.10.1938 nach Bentschen (Zbaszyn) an der deutsch-polnischen Grenze abgeschoben. Der Aufenthalt im deutschen Reichsgebiet wurde ihnen verboten, da sie polnische Staatsangehörige waren.

Im März 1938 hatte nämlich das polnische Parlament ein Gesetz verabschiedet, das zum Ziel hatte, allen polnischen Juden, die schon länger als fünf Jahre im Ausland lebten, die Staatsbürgerschaft zu entziehen. Dies konnte man nur verhindern, indem man seinen Pass bis zum 30. Oktober im zuständigen polnischen Konsulat mit einem Kontrollvermerk versehen ließ. Wer diese Frist versäumte, sollte staatenlos werden und das Recht zur Einreise nach Polen verlieren. Diesem Vorgang wollte die deutsche Regierung zuvorkommen und verfügte daher am 27.10.1938 die Zwangsabschiebung der im Deutschen Reich lebenden polnischen Juden. So wurde auch Familie Auerbach in den Grenzort Bentschen abgeschoben. Im völlig überfüllten Bahnhof Bentschen herrschten chaotische Zustände. Dennoch versuchten die polnischen Behörden die Pässe zu kontrollieren und über den weiteren Verbleib der Menschen zu entscheiden. So geschah es vermutlich, dass der Vater nicht nach Polen einreisen konnte, da sein Pass noch zur Verlängerung auf dem Konsulat lag.

Nach Aussage der Tochter wurde der Vater vier Monate lang in Buchenwald interniert und durfte dann nach Kaiserslautern zurückkehren.

Dort musste er im Juli 1939 erneut seine Wohnung räumen und in das sogenannte „Judenhaus“ Steinstraße 30 ziehen.

Leo Auerbach 1939 (Privatfoto Michal Auerbach)
Anna und Henryka Auerbach in Bentschen 1939 (Privatfoto Michal Auerbach)

Die Mutter und Henryka dagegen wurden in Bentschen interniert. Als das Lager im Sommer 1939 allmählich aufgelöst wurde, reisten viele Menschen ins polnische Landesinnere weiter, so auch Henryka, die nach Lublin zu Bekannten fuhr. Einige Personen, dazu gehörte Mutter Auerbach, durften in ihre alten Wohnorte zurückkehren, um dort ihre persönlichen Angelegenheiten zu klären. Im August 1939 fuhr Anna Auerbach daher zu ihrem Mann nach Kaiserslautern zurück.

Geplant war eine Wiedervereinigung der Familie in Polen mit späterer Emigration nach Palästina.

Dies glückte jedoch nicht, da sich inzwischen der deutsche Überfall auf Polen ereignete und der Krieg ausbrach.

Stattdessen meldete sich das Ehepaar Auerbach im September 1939 zunächst nach Stuttgart ab, reiste aber tatsächlich nach Fürth, wo sie ab dem 18.09. in der Nürnberger Str. 29 gemeldet waren. Zuflucht fanden sie hier im Hause des Fürther Oberrabbiners Dr. Siegfried Behrens.

In Fürth musste Herr Auerbach als einfacher Hilfsarbeiter tätig sein. Von dort erhielt Tochter Erna als letztes Lebenszeichen einen Rot-Kreuz-Brief mit 25 Wörtern. Die Eltern schrieben: „Wir sind gesund und arbeiten“. Beide unterschrieben, wohl um der Tochter zu zeigen, dass sie noch lebten.

Am 27.11.1941 holte die Gestapo 94 Juden aus ihren Wohnungen ab und brachte sie in ein Barackenlager, wo sich bereits etwa 500 Menschen aus Nürnberg und anderen fränkischen Städten befanden. Diesen Personen wurde eine „Umsiedlung in den Osten“ in Aussicht gestellt. Zu diesem Zwecke sollten zuvor 25 % des Vermögens auf ein Sonderkonto eingezahlt werden. 50 kg Handgepäck und Proviant für eine Woche waren erlaubt. Die Deportierten rechneten damit, am Zielort für die Kriegswirtschaft oder in der Landwirtschaft arbeiten zu sollen, da auch Gerätschaften für ein Leben im Ghetto mitgeführt werden sollten. In Wirklichkeit ging der Transport am 29.11. nach Riga in das KZ Jungfernhof. Fast alle Gefangenen dieses Lagers wurden im folgenden Jahr ermordet oder starben an Entkräftung.

Deportationsliste mit den Namen Leo und Anna Auerbach (Quelle: https://www.statistik-des-holocaust.de/OT411129-Fuerth1.jpg)

In der Gedenkhalle (Tahara-Haus) des neuen jüdischen Friedhofs der Stadt Fürth gibt es eine Gedenktafel, auf der auch die Namen des Ehepaars Auerbach vermerkt sind.

(Foto: B. Künzel-Geiler)
Leo und Anna Auerbach werden hier als „Leo L(eib)“ und „Minka Ch(ana)“ aufgeführt (Foto: B. Künzel-Geiler)

Tochter Henryka gilt als verschollen. Man kann als sicher annehmen, dass sie in Polen ihr Leben verlor.

Tochter Erna überlebte in Palästina, wo sie den Vornamen Michal annahm.

Nach ihrer zweijährigen Ausbildung im Kibbuz Geva arbeitete sie für weitere zwei Jahre zusammen mit jungen Leuten aus zwei anderen Kibbuzim in der Stadt Chedera (Hadera) und gründete dann mit 76 Freunden 1940 den neuen Kibbuz Mazuba (Matzuva) nahe der libanesischen Grenze. Das Land wurde einem Scheich abgekauft. Die Anfänge waren durch Wassermangel, harte Arbeit und Anfeindungen durch die arabischen Nachbarn recht schwierig.

Chedera: Erna /Michal ist die junge Frau mit Brille in der Mitte (Privatfoto Michal Auerbach)

Anschließend diente sie vier Jahre lang beim britischen Militär, zuerst als Ambulanzfahrerin, dann bei den Quartiermaster-Stores. Sie beendete diese Zeit als Sergeant und kehrte in den Kibbuz zurück.

1948 wurde sie zum israelischen Militärdienst einberufen und blieb dort bis 1972 (Rang: Major).

Privatfoto Michal Auerbach

Danach übte sie noch verschiedene ehrenamtliche Tätigkeiten aus und lebte in Tel Aviv.

Während sie als Kind und Jugendliche als leidenschaftliche Fahrradfahrerin mit dem Vater oder mit Freunden ihre nähere und weitere Umgebung erkundete, war ihr späteres Hobby für viele Jahre das Reisen mit dem Bund der Naturfreunde.

Seit 1998 lebt sie in einem Elternheim (so nennt man in Israel das Altersheim).

Die selbstbewusste Seniorin nahm noch 2020 an einer Demonstration teil!

Ihr Leben lang blieb sie den Pfadfinderidealen treu und wurde vom Pfadfinderbund ihrer Stadt durch die Ernennung zum Ehrenmitglied und durch einen Film über ihr Leben gewürdigt.

Link zum Film: https://www.youtube.com/watch?v=JFBsvbYiBrI

Quellen: