Recherche: Michael Wiesheu
Für die 5 Familienmitglieder der Familie Heilpern – die Eltern Emanuel und Sophie, sowie ihre 3 Kinder Hertha, Benjamin und Herbert – wurden am 10.9.2021 an ihrem letzten Wohnort in der Rummelstraße 1 in Kaiserslautern Stolpersteine gelegt. Nur die Tochter Hertha überlebte. Ihre Eltern und die beiden Brüder wurden alle 1942 ermordet.
Die Biografie der Familie Heilpern:
Das Ehepaar Emanuel und Sophie Heilpern lebte von 1915 bis 1933 mit ihren 3 Kindern in Kaiserslautern, wo es ein Textilgeschäft in der Marktstraße betrieb6).
1933 wurde die Familie aus der Pfalz vertrieben und wanderte in die Tschechoslowakei aus. In Prag heirateten die 3 Kinder Hertha, Benjamin und Herbert.
Aber auch in Prag war die Familie nicht sicher: Am 4. Dezember 1941 wurde die Tochter Hertha Salus, geborene Heilpern, mit ihrem Ehemann Erich Salus nach Theresienstadt, kurz danach nach Riga und später in die Lager Stutthof und Godenhofen deportiert, wo sie fast 3 Jahre lang Zwangsarbeit verrichten mußten und Hertha krank wurde. Am 10. März 1945 wurden sie von der russischen Armee befreit und konnten im Mai 1945 wieder nach Prag zurückkehren6).
Am 28. April 1942 wurden Emanuel und Sophie mit den beiden Söhnen Benjamin und Herbert nach Theresienstadt deportiert. Ebenso die beiden Ehefrauen der Söhne, Mirla und Liese. 2 Tage danach kamen sie von dort in das Ghetto Zamosc/Polen. Alle sechs Familienmitglieder wurden in einem Vernichtungslager kurz danach umgebracht.
Nur Hertha und ihr Mann Erich überlebten und kehrten im Mai 1945 nach Prag zurück, wo 1946 Sohn Jiri geboren wurde. 1968 zog die Familie nach Wiesbaden, wo Hertha im gesegneten Alter von 108 Jahren 2017 verstarb6).
Was im Einzelnen über die Familie Heilpern bekannt ist:
Das Ehepaar Emanuel und Sophie Heilpern lebte seit 1915 mit ihren 3 Kindern in Kaiserslautern. Emanuel, geb. am 28.5.1877 in Hlohovec Slowakei2) (das frühere österreich-ungarische Galgoczorn); seine Eltern waren der Lehrer Benjamin Heilpern und Berta, geborene Szeidler1). Sophie, geb. Felsenthal, geb. 24.04. 1880 in Odenbach am Glan hatte 7 Geschwister. Ihre große Familie zog 1902 vom Glantal nach Kaiserslautern. Ihre Eltern waren Jakob Felsenthal (geb. 8.3.1851 in Odenbach, gestorben 25.3.1920 in Kaiserslautern) und Bertha, geb. Kaufmann (geb. 1.2.1850 in Odenbach, gestorben 9.3.1939 in Kaiserslautern; ihr Grab auf dem jüdischen Friedhof in Kaiserslautern besteht noch)1), 4). Die Familie betrieb in der Ländelstrasse 46 einen Kohlen-, Obst- und Alteisenhandel3).
Für Sophies Geschwister und ihre Familien wurden in Kaiserslautern ebenfalls Stolpersteine gelegt: Für ihre Schwester Thekla Sklarek, geb. Felsenthal und ihre 6 Familienmitglieder (keines von ihnen überlebte die NS-Zeit!) wurden 2014 in der Humboldtstraße 6 in Kaiserslautern Stolpersteine gelegt3), 4). Für ihren Bruder Alexander Felsenthal und seine Familienmitglieder wurden am 10.9.2021 in der Weberstraße in Kaiserslautern Stolpersteine gelegt. Alexander, genannt Alex, kam 1942 nach Auschwitz und wurde dort ermordet 5), 20).
1907 hatten Emanuel und Sophie in Kaiserslautern geheiratet. Gewohnt hatten Sie allerdings von 1904 bis 1915 in Lüttich/Belgien, wo auch die drei Kinder geboren wurden1).
- Hertha am 15.9.1909,
- Benjamin am 27.11.1910
- Herbert am 8.2.1912.
Nach dem Umzug nach Kaiserslautern am 3.3.1915 wurden sie zunächst im Haus der Eltern von Sophie in der Glockenstraße 78 aufgenommen. Bald zogen sie in eine Mietwohnung in der Pirmasenser Straße 29 (bzw. später Nr. 40)1).
Hertha berichtete bei einem Besuch in Kaiserslautern am 21.9.2008 über ihre Familie6): Ihre Eltern waren Kaufleute und verdienten sich den Lebensunterhalt durch Handel mit Textilwaren („Kurz-, Strumpf- und Bürstenwaren en gros“, aber auch Spielwaren7). Sie hatten in der Marktstraße 39 ihr Textilgeschäft (neben Manufakturwaren Hoffstadt)6), 7). Die Mutter hatte das Geschäft während des 1. Weltkriegs gegründet, während ihr Vater in den Krieg mußte. Nach dem Krieg habe ihr Vater in Kaiserslautern auch die Generalvertretung der Firma EFHA Fleischwarenfabrik gehabt.6)
Seit 1922 hatte die Familie ein eigenes Haus in der Weberstraße 24, in dem sie bis zum 12.2.1931 wohnte. Danach waren Sophies Mutter Bertha Felsenthal (geb. Kaufmann) und ihr Bruder Alexander Felsenthal mit seiner Familie dort noch bis 1939 gemeldet) 5), 7), 16) . Für die 5 Familienmitglieder des Bruders wurden dort am 10.9.2021 Stolpersteine gelegt20).
Familie Frick als Nachbarn in der Weberstraße!
In der gleichen Straße ca. 50 Meter in Richtung Kaiserstraße (heute: Richard-Wagner-Straße) befindet sich das Elternhaus von Wilhelm Frick, Reichsinnenminister und Entwickler ca. 100 judenfeindlicher Gesetze. Frick verbrachte in der Weberstraße seine Kindheit und Jugend. Als die Familien Heilpern und Felsental in der Weberstraße wohnten (1922 bis 1931 bzw. 1939), lebten dort noch seine Familienmitglieder. Die von Wilhelm Frick verfassten Gesetze führten mit zum Tod der Familie Heilpern und zur millionenfachen Vernichtung von Juden und anderen NS-Opfern. Frick nannte seine Gesetze „Die Umsetzung der nationalsozialistischen Weltanschauung in die Tat“ 7), 8), 21).
Der Werdegang von Hertha Heilpern in Kaiserslautern6):
- Besuch der Volksschule in der Münchdammschule
- für kurze Zeit in der Babarossaschule
- Besuch des Instituts der Franziskanerinnen bis zum Abitur 1928 oder 1929 (eine ihrer Kaiserslauterer Schulfreundinnen war die später gefeierte Sängerin Hilde Mattauch23), die nach Argentinien auswanderte)
- Religionsunterricht erhielt sie durch Kantor Nakler und Rabbiner Baron
- nach dem Abitur Besuch der Handelsschule Stock
- danach bis 1933 in der Zigarrenfabrik „Gebrüder Felsenthal“ als Korrespondentin tätig
Die letzte Kaiserslauterer Wohnung der Familie Heilpern befand sich in der Rummelstraße 1 am Stiftsplatz, wo Benjamin mit seinem Vater Emanuel auch ein Geschäft („Vertretungen in Lebensmittel“ 24)) angemeldet hatte1).
Als Nicht-Reichsdeutsche mußte und wollte die Familie 1933 die Pfalz verlassen (laut Melderegister am 15.3.1933) und zog um nach Prag in den Stadtteil Liben6). Zu den Umständen der Auswanderung berichtet Enkel Jiri Salus:
„Es liegt mir der Reisepass meiner Mama vor, der am 6.3.1933 vom Konsulat der Tschechoslowakei in Stuttgart ausgestellt worden ist (Gebühr wurde bereits am 4.3.1933 entrichtet). Nach dem Stempel in diesem Pass hat meine Mama bereits am 24.3.1933 die tschechoslowakische Grenze überschritten.Die Ausreise war damals bestimmt nicht ganz freiwillig, weil die Familie gar nicht tschechisch sprechen konnte“ 18).
In Prag heirateten die 3 Kinder der Familie Hertha, Benjamin und Herbert:
Hertha heiratete 1939 den Kaufmann Erich Salus (geb. 3.4.1913, gestorben 10.7.1982) aus Teplize/Tschechoslowakei, der in Prag in der Lederbranche tätig war. Aus ihrer Ehe ging der Sohn Georg (Jiri) hervor, der 1946 geboren wurde und zwei Kinder hatte6), 9).
Benjamin (Beni) heiratete Mirla, geborene Taube (geb.1910, gestorben 1942)9).
Mirlas Bruder Carlo Siegmund Taube war ein ziemlich bekannter Musiker und Komponist, der ebenfalls im Lager Theresienstadt gefangen war. „Dort komponierte er mehrere Lieder und führte als Konzertleiter ein eigenes Lagerorchester, die sogenannte Stadtkapelle, die die altböhmische Musiktradition der Bäderstädte hochhielt. Taubes im November 1942 komponiertes Lied Ein jüdisches Kind hat als einziges seiner im Lager geschaffenen Werke das Kriegsende überdauert“.
Carlo Siegmund und seine Frau Erika Taube wurden am 3.10.1944 in Auschwitz ermordet 13), 14), 15).
Herbert heiratete Liesel Kohorn (geb. 1914, gestorben 1942)9).
Hertha Salus und ihr Ehemann Erich wohnten zuletzt in der Weinbergstraße 6 in Prag17). Gemäß der beiden Häftlingsakten des Konzentrationslagers Stutthof wurde Erich Salus am 7.12.1940 und Hertha Salus am1.5.1941 verhaftet17). Am 4.12.1941 wurden beide in das Ghetto Theresienstadt deportiert und kamen am 12.1.1942 in das Lager Riga. Dort mußten sie 2 Jahre und 10 Monate bei harter Zwangsarbeit Steine verladen und auf einer Schiffswerft arbeiten. Hertha erkrankte an Typhus6), 17). Am 1.10.1944 wurden sie in das Konzentrationslager Stutthof eingeliefert17). Dort getrennt, trafen sie sich jedoch kurz vor ihrer Befreiung wieder im Lager Godenhofen bei Danzig. Am 10.3.1945 wurden sie von der russischen Armee befreit und kamen in die Quarantäne nach Lauenburg. Sie hatten überlebt, allerdings mehr als 4 Jahre ihres Lebens bei schwerer Arbeit in Lagern verbringen müssen6), 25).
Benjamin Heilpern hatte im Sommer 1940 versucht auszuwandern; er ließ sich bei der Polizeidirektion Prag ein Leumundszeugnis ausstellen mit dem Zweck „Auswanderung nach Shanghai“. Sein eintragsfreies Führungszeugnis wurde am 2.8.1940 ausgestellt11).
Herbert Heilpern hatte noch im Februar 1942 die Ausstellung eines Reisepasses beantragt. Die Auswanderung gelang beiden jedoch nicht11).
Rechts: Antrag auf Ausstellung eines Reisepasses am 3.2.194211)
Am 28.4.1942 wurden die Eltern Emanuel und Sophie Heilpern mit den zwei Söhnen Benjamin und Herbert in das Ghetto Theresienstadt deportiert; ebenso die beiden Ehefrauen der Söhne, Mirla und Liese. Von dort kamen sie am 30.4.1942 in das Ghetto Zamosc/Polen 10, 11) 17). Sophie, ihr Mann und die 2 Söhne starben wahrscheinlich schon kurz danach in einer der nationalsozialistischen Tötungsfabriken Belzek, Sobibor oder Treblinka 11), 12). Mit ihnen starben die beiden Ehefrauen von Benjamin und Herbert, Mirla und Liese, im Alter von 32 bzw. 28 Jahren9).
Hertha und Erich Salus waren die einzigen Überlebenden der Familie Heilpern. Sie kehrten im Mai 1945 wieder nach Prag zurück in der vergeblichen Hoffnung, dort Eltern und Brüder Heilpern zu treffen. Die Familie wohnte noch bis zum „Prager Frühling“ 1968 mit dem am 13.5.1946 geborenen Sohn Georg (Jiri) in Prag, wo Erich als Lagerist bei einer Firma, die Einrichtungen für Großküchen produzierte, arbeitete. 1968 zog die Familie nach Wiesbaden6). Erich Salus lebte bis 1982, Hertha wurde 108 Jahre alt und starb am 4.12.2017. Sie ist in Wiesbaden beigesetzt.
2014 gaben sie in dem Film „Famillie Salus-Ein jüdisches Schicksal in Europa“ für die Jüdische Gemeinde Wiesbaden ein Interview, in dem sie die Geschichte ihrer Familie in Kaiserslautern, Prag, den Konzentrationslagern und nach der Befreiung schildern. Ein außerordentliches Zeitzeugendokument!25)
Quellen:
- Stadtarchiv Kaiserslautern Meldekartei
- Angaben zu Emanuel Heilpern siehe Genogrammseite Geni unter: https://www.geni.com/people/Emanuel-HEILPERN/6000000035887384983 (aufgerufen am 13.6.2020)
- Stolpersteine für Familie Sklarek auf dieser Homepage siehe: Biografie Familie Sklarek
- Alfred Wendel, Jüdisches Leben in Odenbach, Geschichte der jüdischen Kultusgemeinde, Jüdische Familien in Odenbach, Die Synagoge, Der Genisa-Fund der Synagoge Odenbach, Chronik Odenbach Bd. 3, Odenbach 2008. – S. 230-232
- Daten zu Alexander Felsenthal siehe: Gedenkstätte Yad Vashem: https://yvng.yadvashem.org/index.html?language=de&s_lastName=Felsenthal%20&s_firstName=Alexander&s_place=&s_dateOfBirth=&cluster=true (aufgerufen am 13.6.2020) und Roland Paul: Stolpersteine in Kaiserslautern – Website der Stolperstein-Initiative Kaiserslautern (stolpersteine-kl.de)
- Mitteilungen von Hertha Salus an Roland Paul am 21.9.2008 bei ihrem Besuch in Kaiserslautern und am 12.8.1997 in Wiesbaden-Dotzheim und Email von Jiri Salus vom 15.6.2020
- Adressbücher Kaiserslautern Ausgaben 1920, 1925 und 1928
- Günter Neliba: Wilhelm Frick – Der Legalist des Unrechtsstaates. Eine politische Biographie. Paderborn 1992 – siehe SS-161ff.
- Stammbaum der Familie Heilpern siehe Genogrammseite Geni unter: https://www.geni.com/family-tree/canvas/6000000035880276905 (aufgerufen am 13.6.2020)
- Ghetto Zamosc siehe: https://de.wikipedia.org/wiki/Ghetto_Zamość (aufgerufen am 13.6.2020)
- Tschechische Datenbank siehe: https://www.holocaust.cz/de/opferdatenbank/ und https://www.holocaust.cz/de/opferdatenbank/opfer/92608-benjamin-heilpern/ (aufgerufen am 13.6.2020)
- Mordaktion Reinhardt siehe: https://de.wikipedia.org/wiki/Aktion_Reinhardt (aufgerufen am 13.6.2020)
- Biografie von Carlo S. Taube: https://de.wikipedia.org/wiki/Carlo Sigmund Taube
- Lied Ein jüdisches Kind auf Youtube https://www.youtube.com/watch?v=t4RWL8mTO0Q (aufgerufen am 18.6.2020)
- Liedtext und Noten: Ein jüdisches Kind (bachlund.org)
- Roland Paul: Pfälzer Juden und ihre Deportation nach Gurs, S. 227
- Arolsen Archiv: https://collections.arolsen-archives.org/search/?s=Heilpern (aufgerufen am 22.6.2020)
- Fotos und Bericht von Jiri Salus, Enkel von Emanuel und Sophie Heilpern (vom Juni 2020 und Juli 2021): „Mein Großvater ist in der Slowakei geboren worden. Heute heißt die Stadt Hlohovec (ungarisch Galgóc ). Nach dem Zerfall der Österreichisch-Ungarischen Monarchie 1918 ist er Bürger der neuen Tschechoslowakischen Republik geworden. Auch meine Mama und ihre Brüder haben nach ihm die Tschechoslowakische Staatsangehörigkeit gehabt und sind 1933 auch mit tschechoslowakischen Pässen aus Deutschland ausgereist. Selbstverständlich sprach keiner von der Familie tschechisch. Meine Mama sprach davon, dass sie nach der Machtergreifung Deutschland als Ausländer verlassen mussten.“
- Foto: Michael Wiesheu
- Roland Paul hat für die Familie Alexander Felsenthal die Biografie anlässlich der Stolpersteine-Verlegung erstellt
- SWR-Fernsehen/Julia Melan, 2016: Hitlers Innenminister – Der Pfälzer Wilhelm Frick (30-min. Filmbeitrag)
- Foto: Stadtarchiv Kaiserslautern
- Wegen ihrer jüdischen Herkunft durfte sie in Deutschland nicht mehr auftreten; in Kaiserslautern ist zur Erinnerung in der Wilhelmstraße ein Platz nach ihr benannt https://de.wikipedia.org/wiki/Hilde_Mattauch (aufgerufen am 6.7.2020)
- Verzeichnis der nichtarischen Geschäfte in Kaiserslautern, NSZ-Rheinfront, Juni 1933 (Stadtarchiv Kaiserslautern)
- Familie Salus – ein jüdisches Schicksal in Europa; Mediathek der Jüdischen Gemeinde Wiesbaden, aufrufbar unter MEDIATHEK – Jüdisches Wiesbaden: Zwischen Neubeginn, Zuversicht und „Tarbut – Zeit für jüdische Kultur“ (juedische-geschichte-wiesbaden.de)