Biografie Familie Heimann

Recherche: Georg Emme

Der Großvater Markus Heimann war schon 1925 gestorben. Er wurde 1848 in Niederkirchen geboren und heiratete dort Emilie Heimann, geb. Strauß. Sie wurde 1856 ebenso in Niederkirchen geboren und gehörte der dortigen sehr aktiven jüdischen Gemeinde an. Seit 1919 lebt die Familie in der Wilhelmstraße 12 in Kaiserslautern. 1939 ist Emilie Heimann in der Steinstraße 30 gemeldet. Von ihr wissen wir, dass sie am 1.5.1940 nach USA emigrierte. Dies ist in den städtischen Akten vermerkt mit dem Vermerk „New York-Brooklyn“. Die Schiffspassage mit dem Schiff „Manhattan“ erwähnt das Alter der alten Dame: mit 83 Jahren erreichte Emilie Heimann New York. Das Schiff hat die Route Genua – New York genommen, vermutlich wegen des Krieges. Das Visum für die Ausreise nach USA wird in Stuttgart am 3.11.1940 erteilt. Emilie Heimann stirbt in den USA. Ihr Sterbedatum ist mir nicht bekannt. Emilie und Markus Heimann hatten 4 Kinder: Hermine (1890 – ?), Leo (1893-1972), Ernst (1897-1942) und Robert (1900-1980).

S.S. Manhattan, das Schiff, das die Familie von Leo Heimann 1935 und Emilie Heimann 1940 in die USA brachte.
Drei Generationen der Familie Heimann

Die drei Generationen der Familie Heimann

Großeltern-Generation:        Markus Heimann + Emilie Heimann, geb. Strauß
Eltern-Generation:                Hermine Götz, geb. Heimann + Simon Götz
                                             Leo Heimann + Erna Heimann, geb. Elias
                                             Ernst Heimann
                                             Robert Heimann + Edith Heimann, geb. Maier
Kinder-Generation               Hedy Horowitz, geb. Götz
                                             Franz-Leopold Götz
                                             Norbert Heimann
                                             Fritz Heimann

Die Familie der ältesten Tochter Hermine

Die älteste Tochter Hermine Götz, geborene Heimann, wird am 16.11.1890 in Niederkirchen geboren. Seit 1919 lebt Hermine mit Simon Götz, dem Zigaretten- und Spirituosengroßhändler in Kaiserslautern zusammen. Die erste Wohnadresse in Kaiserslautern war die Wilhelmstraße 12. 1921 wird Tochter Rosa Hedwig, in den USA später „Hedy Goetz“ genannt, in Kaiserslautern geboren. Der jüngere Bruder, Franz-Leopold (1924-1930) ist eines natürlichen Todes in Kaiserslautern verstorben. Am 14.05.1935 emigriert die gesamte Familie Götz in die USA, 5 Jahre bevor die Mutter Emilie, die dann später nachreist. Das Schiff „Albert Ballin“ verlässt am 16. Mai 1935 Bremerhaven und erreicht New York am 24. Mai 1935.

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Auswandererschiff S.S. Albert Ballin der Götz Familie

Die Lebensdaten von Hermine Götz in den USA können leider nicht bestätigt werden. Das Todesdatum Ihres Ehemannes, Simon Götz, ist für Januar 1963 in New York angegeben.

Tochter Rosa Hedwig, in den USA „Hedy Goetz“ genannt, stirbt am 10.11.2008 in New York. Sie hatte am 27.12.1941 den emigrierten Hans Borter geheiratet, wurde 1949 wieder geschieden und heiratete 1951 erneut Wilbur Horowitz. Ein Foto der jungen Hedy ist überliefert aus dem Menorah Club, Abschlussfoto.

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Hedy Horowitz, geb. Götz ca. 1958

Die Familie des Sohnes Leo Heimann

Leo Heimann wird am 01.01.1893 in Niederkirchen geboren. Im Adressbuch der Stadt Kaiserslautern wird der Beruf „Weinhändler“ angegeben. Er heiratet 1922 Erna Elias in Glanmünchweiler. Die Kinder Norbert (geb. 1924) und Fritz (geb.1927) werden in Kaiserslautern geboren. Die ganze Familie emigriert am 01.07.1936 nach USA. Die letzte Wohnadresse der Familie ist die Wilhelmstraße 12 in Kaiserslautern.

Das Auswandererschiff „Manhattan“ nimmt die Route Le Havre nach New York und erreicht die USA im August 1935. Die Schiffslisten nennen eine Adresse in New York, aber die Familie Leo Heimanns lässt sich in Chicago nieder. Der Onkel Fred Hochstaetter lebte schon dort. Die Einwanderungsformulare von Erna und Leo sind überliefert. Leo stirbt im März 1972 in Memphis/Tennessee. Die Sterbedaten von Erna sind mir nicht bekannt. Sohn Norbert Heimann beendet mit 24 Jahren die Highschool in Chicago und stirbt am 04.03.2012 in den USA. Fritz Heimann stirbt 1938 im Alter von nur 11 Jahren in den USA.

Erna und Leo Heimann bei der Einreise nach USA

Sohn Ernst Heimann (1897- 1942)

Ernst Heimann wird am 15.03.1897 in Niederkirchen geboren und lebte gemeinsam mit seinen Eltern in der Wilhelmstraße 12. Später, ab 09.10.1939 ist die ganze Familie Heimann in der Steinstraße 30 gemeldet im sog. „Judenhaus“ und nicht die selbst gewählte Wohnadresse. Deshalb sind die Stolpersteine in der Wilhelmstraße 12 verlegt worden.

Kaiserslautern. Der Stadtjugendring veranstaltet einen Stadtrundgang zu den Stolpersteinen. Treffen mit Holocaust-Überlebende Margot Wicki-Schwarzschild (r.) vor ihrem ehemaligen Haus in der Steinstraße. 08.11.2019 Foto: Martin Goldhahn / view
Die Städtische „Kennkarte“ der Familie Heimann mit der „Grünkennzeichnung“ für jüdische Einwohner Kaiserslautern.

Bei Emilie Heimann wird auch der Beiname „Sara“ geführt. Durch die Kennzeichnung mit dem grünen Feld, war jedem Amtsmitarbeiter klar, dass es sich um jüdische Einwohner handelt. Dies sind erste Anzeichen der Ausgrenzung. Seit August 1938 wird die Kennzeichnung verpflichtend. Männliche Juden werden mit dem Namen „Israel“ geführt, was hier nicht auf der Kennkarte steht, aber auf seiner eigenen.
Quelle: Stadtarchiv Stadt Kaiserslautern

In Kaiserslautern wird Ernst Heimann nach der Pogromnacht 10./11.11.1938 gemeinsam mit weiteren 60 jüdischen Bürgern aus Kaiserslautern in das KZ Dachau für einige Wochen interniert. Die Erinnerungen des ehemaligen Rabbiners Dr. Sally Baron:

„ … Am Abend dieses schrecklichen Tages, an dem in Kaiserslautern alle männlichen jüdischen Personen zwischen 16 und 65 Jahren in das Konzentrationslager zu Dachau überführt wurden, kamen um 7 Uhr Abgesandte der Partei in alle jüdischen Häuser und erklärten, dass die gesamte Bevölkerung der Stadt bis Mitternacht die Pfalz zu verlassen habe. Mit Handgepäck und Rucksäcken mussten sie unter dem Gejohle des Pöbels, der auf den Straßen Spalier stand und sie verspottete, zur Bahn ziehen, denn Fuhrwerke zu benutzen war ihnen verboten, und auch sonst wagte niemand von der Bevölkerung ihnen irgendwie behilflich zu sein. …”

Erinnerungen des ehemaligen Rabbiners Dr. Sally Baron (aus: W.Müller/R.Paul, Es geschah vor aller Augen und in der Öffentlichkeit)

Heute wissen wir, dass die Rückkehrer aus Dachau „verändert“ gewesen sein müssen durch die Behandlung dort. Die Ausgrenzungen und Internierungen haben Spuren hinterlassen.

Am 22/23.10.1940 wird er gemeinsam mit ca. 45 weiteren jüdischen Bürgern nach Gurs deportiert. Die „Aktion Bürckel“ (Gauleiter Saarpfalz), mit dem Ziel die Pfalz, Baden und das Saarland „judenfrei“ zu hinterlassen, war generalstabsmäßig geplant: die deportieren Männer, Frauen und Kinder durften nur das Allernötigste mitnehmen: einen Koffer, eine Wolldecke, etwas Verpflegung, Ess- und Trinkgeschirr und bis zu 100 RM Bargeld. Sieben Eisenbahnzüge aus Baden und zwei aus der Pfalz fahren in das unbesetzte Frankreich nach Oléron-Sainte-Marie, unweit des Internierungslagers Gurs in den Pyrenäen. Auch Ernst Heimann, als „transportfähiger Volljude“, wird deportiert.

Von jetzt an beginnt ein Martyrium der permanenten Internierungen: aus Gurs wird Ernst Heimann nach Récébédou verlegt. Für das Internierungslager in der Nähe von Toulouse waren Siedlungshäuser einer Pulverfabrik und für spanische und jüdische Flüchtlinge genutzt worden. Dann wurde Récébédou zu einem Lager für alte und kranke Juden. Wegen der hygienischen Verhältnisse starben hier über 300 Personen. Kurz vor Schließung des Lagers im Herbst 1942 wird Ernst Heimann mit weiteren 749 Juden nach Drancy bei Paris verbracht.

Drancy ist ein Sammel- und Durchgangslager gewesen, in dem 65.000 hauptsächlich französische Juden mit der Eisenbahn in die deutschen Vernichtungslager gebracht wurden. Das Lager in Drancy war ein viergeschoßiger Gebäudekomplex in U-Form um einen ca. 400 m langen, ca. 40 m breiten Innenhof, der ursprünglich für 700 Menschen entworfen, in dem jedoch auf seinem Höhepunkt mehr als 7.000 Menschen eingesperrt waren. Das hufeisenförmige Lager war  mit Stacheldraht gesichert und an allen vier Ecken von Wachtürmen umgeben. Die Überwachung wurde zuerst von französischen Polizisten, später von der SS und SD übernommen. Aufgrund von Dokumentenbeweisen und Zeugenaussagen sind die unmenschlichen Bedingungen und die Brutalität der französischen Wachen in Drancy bewiesen, zu denen die sofortige Trennung kleiner Kinder von ihren Eltern bei der Ankunft gehörte.

Am 12.08.1942 wird Ernst Heimann mit dem Transport 18 nach Auschwitz deportiert. Hier wird er vermutlich direkt nach der Ankunft ermordet. Mehr über den Transport unter http://www.tenhumbergreinhard.de/transportliste-der-deportierten/bericht-transport/transport-12081942-drancy.html.

Die Familie Robert Heimann

Der jüngste Sohn Robert wird 1900 in Niederkirchen geboren. 1932 heiratet Robert die 1908 geborene Edith Maier, die in Osthofen bei Worms  geboren wurde. Das Ehepaar wohnt ebenfalls zuletzt in der Wilhelmstraße 12. Nachdem die Geschwister von Robert bereits emigriert sind, reisen beide am 29.04.1936 nach Zürich und später nach Uruguay aus. Die Shoah überleben beide. Robert stirbt 1980 in Montevideo. Die Lebensdaten von Edith Heimann sind mir nicht bekannt.

Um die Situation, die Ängste vor der Zukunft und die Unsicherheit die wohl herrschte, haben wir in der Gedenkfeier mit einem fiktiven, vielleicht so stattgefundenen Gespräche zwischen Mutter und Sohn nachempfunden.

Fiktives Gespräch von Emilie Heimann (Mutter) mit Ihrem ältesten Sohn Leo Heimann

Ich habe mich gefragt, wie das wohl war, einen Tag vor der Abreise. Die Situation: man sitzt gemeinsam am Tisch und die wenigen Koffer und Taschen stehen gepackt im Flur. Morgen früh geht’s los an den Hafen mit der Eisenbahn und dann nach Amerika.

Leo:
Hast Du alles gepackt? Hast Du wirklich alles, was Du braucht für die lange Reise? Denk‘ bitte an einen Schal. Auf der Überfahrt von 4 Tagen könnte es windig und kalt sein.
Emilie:
Ja, ich habe alles gepackt. Schau ! (zeigt auf die Diele) da stehen die zwei Koffer
Leo:
… und die Fotos von Deiner Hochzeit, hast du sie eingepackt? … Und Bilder von uns Kindern?
Emilie:
Ja, habe ich und das Familienbuch und auch die Pässe!
Leo:
…. die darfst Du auf keinen Fall verlieren, sonst schicken die uns in New York zurück. Das ist schon einigen passiert. Zurückgeschickt wegen der falschen Visa!
Emilie:  
(nachdenklich) Ist schon komisch, jetzt mit schon 84 Jahren unser Kaiserslautern zu verlassen. Hoffentlich bekomme ich in New York ein gutes Bett, dann die Sprache – Englisch – hoffentlich kann ich mich verständigen. Hier konnte ich ja täglich zum Bäcker gehen… hoffentlich verstehen die mich auch?!
Leo:  
und die Nachbarn, die Müllers aus der Salzstraße, die waren doch auch immer ganz nett zu uns Juden. Ganz anders als die vielen anderen. Mutter, hast Du Dich bei den Müllers verabschiedet?
Emilie:  
Sie waren nicht da und es würde mir auch wirklich sehr schwer- fallen, mich bei Ihnen zu verabschieden. Was sagt man denn bei so einer Verabschiedung?
Leo:
Mutter, wir werden uns alle in Amerika wiederfinden. Da bin ich mir ganz sicher! Habe Vertrauen!
Emilie:
Aber was machen wir, wenn wir getrennt werden sollten. Wo soll ich mich melden? Wie kann ich Euch finden? Ich spreche ja gar kein Englisch!
Leo: Wir machen jetzt aus: wenn wir uns verlieren sollten, dann treffen wir uns bei den Goldberghs in Brooklyn. Sie sind ja schon vor Jahren in die USA. Ich habe den Goldberghs geschrieben!
Emilie:  
(nachdenklich) … und was mache ich mit meinen Blumen? Es ist ja niemand da, der sich darum kümmern könnte. Und… den Pfälzer Wein, den vermisse ich schon jetzt.  Am liebsten würde ich gar nicht gehen! Wie machen wir das? Einfach die Haustüre zu machen oder abschließen?
Leo:
Ich schlage vor, den Schlüssel beim Nachbarn zu deponieren.
Emilie:
Ist denn die Reichsfluchtsteuer auch bezahlt? Nicht, dass es im letzten Augenblick noch Probleme gibt?!
Leo:
alles ist ordnungsgemäß erledigt.
Emilie:
und die Zeugnisse und Hausbesitzerurkunde. Habt Ihr die eingepackt? Wir kommen ja wieder zurück, wenn Neuwahlen waren und Hitler abgewählt ist. Ich will nicht, dass jemand Fremdes in meinem Haus lebt, von unseren Tellern isst und womöglich noch unsere ganzen Kartoffeln mit nimmt.
Leo:  
(beruhigend) Es ist jetzt spät und morgen früh geht der Zug nach Bremerhaven. Lege Dich doch hin und schlafe etwas … !
Emilie:
Schlafen, jetzt? Wirklich alles, was mein Leben hier in Kaiserslautern ausgemacht hat, habe ich verloren: unsere Wohnung, unsere Freunde, die Verwandten und Bekannten und auch die Geschäftspartner aus Niederkirchen. Ich vermisse alle und alles. Hoffentlich geht alles gut!