Recherche: Christine Wetz und Roland Paul
Julius Kayem, geboren am 1856 in Steinbach am Glan, verheiratet mit Henriette Baum, ließ sich 1878 in Kaiserslautern nieder und betrieb zunächst in der Matzenstraße 28, dann in der Weberstr. 8 und in der Eisenbahnstr. 39 ein Wäschegeschäft. Um 1905 erwarb Julius Kayem ein großes Anwesen in der Glockenstraße 83 und errichtete dort eine Wäsche- und Aussteuerfabrik mit einem großen Verkaufsgeschäft.
Es empfahl sich für die Lieferung „completter gebrauchsfertiger Ausstattungen“ und genoss bald einen sehr guten Ruf. Die hergestellten Textilartikel wurden auf den Industrieausstellungen in Neustadt und Kaiserslautern mehrfach mit Preisen ausgezeichnet. Viele Familien aus der ganzen Westpfalz besorgten hier die Aussteuer für ihre Töchter.
Julius und Henriette Kayem hatten sieben Kinder: die Söhne Ludwig, Eugen, Max, Salomon und Arthur sowie die Töchter Else und Betty. Während sich Max Kayem als Kaufmann in Mannheim niederließ, Arthur nach Berlin zog und Salomon, genannt Sally an einer psychischen Erkrankung litt, traten Eugen, geboren 1880 und sein drei Jahre jüngerer Bruder Ludwig in das elterliche Geschäft ein.
Als der Erste Weltkrieg ausbrach, meldeten sich Eugen und Ludwig Kayem zu den Waffen und taten den ganzen Krieg über Dienst an der Front. Ludwig Kayem wurde 1916 zum Unteroffizier befördert, nahm am Offizierskurs teil und wurde mit dem Eisernen Kreuz zweiter Klasse ausgezeichnet.
Nach dem Tod von Julius Kayem im Jahre 1930 führten seine Söhne Eugen und Ludwig mit ihren Frauen und dem Personal das Geschäft weiter.
Eine ganze Reihe von schulentlassenen Mädchen absolvierten hier ihre Lehre. So manche arbeiteten auch über die Lehrzeit hinaus als tüchtige Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter bei der Firma Kayem.
Nach dem Boykott am 1. April 1933 trauten sich immer weniger nichtjüdische Kunden das Geschäft Kayem in der Glockenstraße zu betreten.
Ludwig Kayem und seine Frau Else, geb. Kayem (er hatte seine Cousine geheiratet) erlebten die Novemberpogrome 1938 in Kaiserslautern und flüchteten unmittelbar danach nach Mannheim. Zu diesem Zeitpunkt befanden sich die Kinder der Familie Kayem bereits im Ausland. Das Ehepaar hatte drei Kinder: die Tochter Herta sowie die Söhne Fritz und Walter.
Herta besuchte das Mädchenlyzeum der Franziskanerinnen und leitete in ihrer Freizeit die Mädchenabteilung des Jüdischen Pfadfinderbundes Makkabi Hazair in Kaiserslautern, der sich regelmäßig in den Räumen der jüdischen Loge, später in Privatwohnungen traf. 1934 beschloss die Bundesleitung des Jüdischen Pfadfinderbundes, die Jugendlichen zum Zionismus zu erziehen und so übernahmen Herta Kayem und ihre Cousine Gerda Kayem mit anderen Jugendlichen – so jung sie auch waren – die Leitung der zionistischen Bewegung. Herta Kayem war dann die erste Jugendliche der Familie, die sich nach Palästina aufmachte, am 1. Januar 1936. Bereits im Jahr zuvor, Ende 1935, war ihre Tante Else Daniel, geb. Kayem mit ihrer Familie von St. Wendel aus dorthin ausgewandert. Im Jahr 1936 Jahr folgte auch Fritz Kayem nach seinem in Kaiserslautern abgelegten Abitur seiner Schwester Herta nach Palästina. Er lebte in einem Kibbutz in Aschkalon und nannte sich fortan Meir Kajam. Sein um zwei Jahre jüngerer Bruder Walter machte 1936 ebenfalls Abitur am Humanistischen Gymnasium, besuchte dann die Fachhochschule für Textil in Reutlingen und flüchtete 1937 in die USA, wo er die Textile School in Massachusetts besuchte. 1941 wurde er amerikanischer Soldat. Später lebte er in Scarsdale im Staat New York. Er starb 2009 im Alter von 93 Jahren in Kalifornien.
Eugen Kayem und seine aus Remagen stammende Frau Klara, geb. Faßbender hatten zwei Töchter, Ilse, geb. 1912 und Gerda, geb. 1919.
Die Töchter besuchten das Mädchenlyzeum der Franziskanerinnen in Kaiserslautern und engagierten sich – wie die Kinder von Ludwig Kayem – daneben im Jüdischen Pfadfinderbund Kaiserslautern.
Da Gerda fest vor hatte, nach Palästina zu gehen, arbeitete sie ab 1936 zunächst zwei Jahre als landwirtschaftliche Praktikantin in dem Hachscharah-Ausbildungslager „Westerbeck“ in Westerkappeln im Münsterland.
In dieser Zeit starb ihr Vater Eugen Kayem während eines Kuraufenthalts 1937 in Königstein im Taunus im Alter von 57 Jahren.
Im folgenden Jahr mussten seine Witwe Klara, geb. Fassbender und ihre Töchter Ilse und Gerda die Zerstörungen in der sogenannten Kristallnacht über sich ergehen lassen. Als die Pogrome begannen, so berichtete Gerda Katz, geb. Kayem in einem 1989 mit ihr geführten Interview, sei ihre nichtjüdische Schulfreundin Lilo Machers, geb. Steinmann, Tochter des Kunsthändlers Julius Steinmann in der Eisenbahnstraße, mit dem Auto vorgefahren, habe Frau Kayem mit ihren beiden Töchtern eingeladen und zunächst in ihr Elternhaus in die Eisenbahnstraße gebracht. Dann nahm sie die Kayems mit in ihr Haus nach Offenbach am Main, wo Lilo Machers seit ihrer Heirat mit dem Apotheker Machers seit kurzem lebte. Dort wohnten Klara, Ilse und Gerda Kayem dann einige Wochen. Lilo Machers, so Gerda Kayem wörtlich „hat sich der Freundschaft zu unserer Familie nie geschämt und hat mich und meine Schwester nach dem Krieg übers Rote Kreuz suchen lassen.“
Offiziell meldete sich Klara Kayem am 16. Dezember 1938 in Kaiserslautern ab nach Mannheim. Im folgenden Jahr verließen Ilse und Gerda Kayem auf getrennten Wegen Deutschland, um – wie ihre Verwandten – nach Palästina zu emigrieren. Damals wanderte auch ihre Tante Betty Bing, geb. Kayem dorthin aus. Gerda gelang es, direkt nach Palästina zu kommen. Ihre Schwester Ilse saß aber ein dreiviertel Jahr auf einem Donauschiff vor Jugoslawien fest, ging dann in Sabatz an Land, wo sie ein weiteres dreiviertel Jahr unter schlimmen Bedingungen leben musste. In der Zwischenzeit hatte Gerda in einem Kibbutz in Palästina einen Berliner Emigranten Werner Katz kennen gelernt und geheiratet. Die beiden besorgten Ilse schließlich ein Zertifikat, mit dem sie dann 1941, kurz bevor die Deutschen in Jugoslawien einmarschierten, das Land verlassen und nach Palästina weiterreisen konnte. Sie lebte fortan in Tel Aviv. Gerda lebten noch eine Zeitlang weiter im Kibbutz. Während Werner Katz als Schweißer gearbeitet hat, betätigte sich seine Frau Gerda als Wäscherin und Kuhmelkerin.
1942 erhielt Gerda Katz von ihrer Mutter Klara Kayem, geb. Faßbender das letzte Lebenszeichen aus dem Lager Gurs. Es war eine Glückwunschkarte zur Geburt des ersten Enkelkindes. Klara Kayem war am 22. Oktober 1940 zusammen mit Ludwig und Else Kayem sowie Max und Martha Helene Kayem von Mannheim zusammen mit etwa 6.500 weiteren jüdischen Menschen in das in Südfrankreich gelegenen Internierungslager nach Gurs verschleppt worden.
In Gurs arbeitete Klara Kayem als Friseuse und erlernte die Anfertigung von Stoffblumen, um sich etwas Taschengeld zu verdienen. Am 5. April 1941 beantragte ihr Vetter Fritz Pappenheim, der in Nizza lebte, für sie einen Erholungsurlaub und stellte die Summe von 18.000 frs. zu ihrer Verfügung bereit. Vermutlich beabsichtigte sie, entweder nach Palästina oder in die USA auszuwandern. Doch dazu ist es nicht mehr gekommen.
Im August 1942 kamen Klara Faßbender, Eugen und Else Kayem sowie Max und Martha Kayem von Gurs nach Drancy und wenige Tage später von dort nach Auschwitz. Im gleichen Jahr wurde auch Salomon Kayem, der jüngere Bruder von Eugen, Max und Ludwig Kayem, von der Heil- und Pflegeanstalt in Bendorf-Sayn deportiert und bald darauf im KZ Sobibor ermordet.
Nach dem Krieg hat es lange gedauert, bis einige der emigrierten Kinder der Brüder Ludwig und Eugen Kayem wieder nach Kaiserslautern kamen. Herta Laufer, geb. Kayem kam zum ersten Mal 1971 wieder hierher. Sie stand dann viele Jahre mit ihrer ehemaligen Lehrerin Frau Lauterbach sowie mit früheren Schulkameradinnen in Verbindung und hat sich auch bei ihrem Besuch im August 1983 mit ihnen getroffen. Auch ihre Cousine Gerda Katz, geb. Kayem kam nach dem Krieg wiederholt nach Kaiserslautern, „Nur durch Lilo Steinmann bin ich wieder nach Deutschland gekommen, sie war ein phantastischer Mensch!“, sagte Gerda Katz. Zuletzt war sie 1989 hier. Sie schrieb mir damals: „Ich denke gerne an die Tage in Kaiserslautern zurück. Die Herzlichkeit, mit der mir viele entgegen kamen, ließen mich Schweres, das ich erlebt habe, zwar nicht vergessen, aber es entstand der Wunsch mehr zu erfahren…“