Biografie Familie Loeb

Jochen Pahl, der Urenkel von Heinrich und Magdalena Loeb und Enkel von Ruth Schneider, reiste mit seiner Familie aus Köln an, um bei der Steinverlegung am 8.10.2022 diese Rede im Gedenken an seine Angehörigen zu halten.

Stolpersteinverlegung 9.10.2022, Eierstr. 4, Rede: Jochen Pahl

Heinrich Loeb und Magdalena, eine geborene Hüttenberger, waren meine Urgroßeltern, ihre Tochter Ruth meine Großmutter. Die Stolpersteine, die heute vor der Eierstraße 4 verlegt werden, rufen ihre Lebens- und Leidensgeschichte in Erinnerung, die im Familiengedächtnis kaum zum Thema gemacht, eher etwas betreten beschwiegen wurde. Selbst die Häuser, in denen die Großfamilie Hüttenberger in der Eierstraße 4 und 6 gelebt hatte, stehen heute nicht mehr, sie sind im Jahr 2019 abgerissen worden. Auch meine Großmutter hat mir nichts erzählen können von ihrer Zeit im Lager Gurs – wenn sie es überhaupt je gewollt hätte. Als sie im Jahr 1979 starb, war ich erst fünf Jahre alt. So trage ich heute eine Geschichte vor, die mich berührt und ergreift, aber überwiegend angelesen und nachgeforscht ist. Gestützt auf eine Sammlung von Dokumenten, die Karl, der Halbbruder von Magdalena und somit Schwager von Heinrich 1988 hinterlassen hat. Dafür danke ich Friedrich Hüttenberger, der heute auch hier anwesend ist.

Heinrich Loeb war Deutscher jüdischen Glaubens und wurde am 18. Oktober 1888 als Sohn eines bayerischen Zollamtsleiters im oberelsässischen Lapoutroie (dt. Schnierlach) geboren. Heinrich war Soldat im Ersten Weltkrieg und wurde im Krieg verwundet. Während seiner Stationierung in Kaiserslautern lernte er die katholische Magdalena Hüttenberger, Tochter eines Schreinermeisters kennen und heiratete sie 1917. Sie lebten von da an in der Eierstraße, im Kreise der Großfamilie. 1919 wurde Ruth als einziges Kind geboren, besuchte in den 1920er Jahren die unweit gelegene Röhmschule. Als ausgebildeter Kaufmann betrieb Heinrich erst eine Zigarren- und Zigarettenhandlung, später war er als Handelsvertreter viel auf Reisen, die er bereits in den 1920-er Jahren mit einem eigenen Auto unternahm. Das Verhältnis zum Schwiegervater August war wohl gut, auch, als dieser später „Parteigenosse“ wird.

Die antisemitische Propaganda und die judenfeindlichen Aktionen der Nationalsozialisten bewegten Heinrich aber schon verhältnismäßig früh dazu, Deutschland zu verlassen. Vielleicht war der sogenannte „Judenboykott“ vom 1. April 1933 ausschlaggebend für diese Entscheidung. Auch in Kaiserslautern zogen SA-Posten vor jüdischen Geschäften auf, um potenzielle Kunden vor dem Betreten abzuschrecken. Der Verlag der faschistischen „NSZ-Rheinfront“ druckte zu dieser Zeit ein „Verzeichnis der nichtarischen Geschäfte in Kaiserslautern“ das Namen und Anschriften von 124 Geschäften, 6 Ärzten und 8 Rechtanwälten enthielt.

Die Tochter Ruth schreibt rückblickend 1956 in einem biographischen Abriss:

„Am 19. April 1933 – ich war damals dreizehn Jahre alt – spielte ich mit anderen Kindern auf der Straße. Gegen 11 Uhr kam mein Vater und sagte, ‚komm Ruth, wir machen eine kleine Autofahrt‘. So wie ich auf der Straße spielte, mit Spielschürze stieg ich ins Auto meines Vaters. Erst als wir längere Zeit gefahren waren und in die Nähe der Landesgrenze kamen, klärte mich mein Vater auf, dass wir nach Strasbourg fahren. (…) In einem Ort jenseits der Grenze gab mein Vater eine Depesche an meine Mutter auf, in welcher er ihr mitteilte, dass er mit mir nach Frankreich geflüchtet sei und sie in Bälde in Strasbourg erwarte. Dort fanden wir bei einem Onkel, einem Bruder meines Vaters, eine vorläufige Unterkunft (…).“

Ruth, die der französischen Sprache nicht mächtig war, sollte diese Flucht um Jahre zurückwerfen. Als sie an eine weitere Ausbildung denken konnte, brach schließlich der Krieg aus.

Mit einem Krieg und der schnellen Niederlage Frankreichs 1940 hatten Heinrich und Magdalena damals nicht rechnen können. Sie flohen erneut, dieses Mal in den unbesetzten, vermeintlich „freien“ Teil Frankreichs, ins südfranzösische Mende im Département Lozère. Die bereits verlassene Wohnung in Straßburg wurde von der deutschen Besatzungsverwaltung beschlagnahmt. Die Liste vom 14. Dezember 1940 mit dem fein säuberlich inventarisierten Besitz ist erhalten geblieben, nur der Keller blieb „unauffindbar, da niemand zu Hause“, so das Schreiben. Auch wurde eine Aufhebung der Beschlagnahme in Aussicht gestellt, wenn Magdalena sich entschließen sollte „die Scheidung gegen ihren Mann herbeizuführen“. Dazu hat sie sich allerdings nie bereit erklärt, auch wenn die deutschen Behörden immer wieder „(…) im Interesse der Reinhaltung des deutschen Blutes“ [Schreiben vom 13. März 1941] darauf drängten.

Die Familie Loeb führte ein kärgliches Leben in Mende, zudem wurde die Lage im Laufe des Jahres 1940 immer bedrohlicher und die Familie wurde auseinandergerissen. Die Kaiserslauterer Geschwister bemühten sich um die Rückführung von Magdalena und Ruth ins Reich oder ins Elsass. Aus der Kommunikation mithilfe vorgedruckter Karten des Roten Kreuzes geht hervor, dass die Loebs in Flüchtlingslagern interniert waren. Ruth wurde interniert in Frémont und von dort am 20. Oktober 1940 nach Gurs verbracht. Dort ist sie registriert in Ilôt [Abteilung] K, Baracke 2. Am 1. Februar 1941 wird sie in das Camp de Rieucors bei Mende verlegt. Schließlich wohnte sie wieder nach ihrer Entlassung bei den Eltern in Mende [Angaben nach Roland Paul: Pfälzer Juden (2017), S. 341 f.].

Heinrich wurde am 20. Februar 1943 bei einer Razzia in Mende festgenommen. Erst nach Gurs verbracht, erhielten Magdalena und Ruth ein letztes Lebenszeichen von ihm aus dem Durchgangslager Drancy, im Norden von Paris gelegen. Auf einer Postkarte vom 1. März 1943 bat er Magdalena, sich um eine Bestätigung zu bemühen, dass sie „arisch“ sei, das könne ihn vielleicht retten. Er spricht Magdalena und Ruth Mut zu, aus dem Schlusssatz wird aber deutlich, dass er wohl alle Hoffnung aufgegeben hatte: Magdalena solle auf keinen Fall mehr irgendwelche Zahlungen für ihn leisten, wenn Sie dazu aufgefordert werde.

[nicht vortragen]

„Ma chère Madeleine, ma chère Ruth! Je te prie de te laisser faire par l’autorité allemande de Toulouse une Attestation que tu es ‘aryenne’ et laisse te faire une copie et envoie celui a moi. Peut-être je suis sauvé avec ça. En tous de cas sois courageuse. Dinant [unbekannt] est avec moi. Gardez (…) espoir que nous nous verrons un jour, je vous embrasse tous les deux de tout mon cœur au revoir. Ne paye rien pour moi au percepteur. Encore soyez embrassé de votre père.“

Magdalena schreibt in einem am 25. Juli 1943 datierten Brief an ihre Kaiserslauterer Geschwister:

„Meine Lieben. Bei dieser Gelegenheit will ich nicht versäumen Euch ein Lebenszeichen von mir zu senden. Dass ich allein bin das wisst ihr ja. Henri ist seit einem ½ Jahr geholt worden & habe nichts mehr gehört von ihm, Es ist traurig.“

Eine im Jahr 1956 verfasste, ins Deutsche übersetzte Abschrift der standesamtlichen Eintragung des Bürgermeisteramts Mende nennt als Todesdatum von Heinrich den 9. März 1943. Er wurde laut dieser Abschrift in Auschwitz ermordet.

Ruth entkam den Vernichtungslagern, weil ihre Mutter eine Hochzeit mit einem Franzosen für sie arrangierte. Der Plan ging auf und nur drei Monate nach der Deportation von Heinrich heiratete Sie den aus dem Elsass stammenden Bäcker René Schneider. Aus dieser Ehe gingen drei Kinder hervor, Marcel, geboren 1944, Madeleine, geboren 1945 – meine 1946 geborene Mutter Raymonde war die jüngste. Alle drei sind mittlerweile verstorben, es leben außer mir noch weitere 6 Urenkel von Heinrich und Magdalena Loeb.

Nach 1945 zog die Familie wieder ins Elsass zurück. Magdalena verbrachte die meiste Zeit bei ihrer Tochter Ruth und deren Familie und starb im Jahr 1960 an einem Herzleiden. Meine Mutter Raymonde zog als junges Mädchen zu Ihren Großtanten und dem Großonkel nach Kaiserslautern – so bin auch ich in Kaiserslautern geboren und bei den Geschwistern meiner Urgroßmutter aufgewachsen. Meine Oma Ruth soll trotz der erlittenen Schicksalsschläge lebensfroh und humorvoll gewesen sein. Der Kaiserslauterer Verwandtschaft blieb sie herzlich verbunden. Ich habe nur noch wenige Erinnerungen an eine stille und in sich gekehrte Frau, die nach langem gesundheitlichem Leiden am 24. April 1979 verstarb.

Die Stolpersteine an diesem Ort bewahren und markieren, was in der lebendigen Erinnerung schon fast verblasst war.

Heinrich Loeb, * 18.10.1888 – † 9.3.1943

Magdalena Loeb, geb. Hüttenberger, * 4.5.1895 – † 23.4.1960

Ruth Maria Luise Schneider, geb. Loeb, * 13.11.1919 – † 24.4.1979

Lit.:
Roland Paul: Pfälzer Juden und ihre Deportation nach Gurs. Schicksale zwischen 1940 und 1945. Biographische Dokumentation. Kaiserslautern 2017. (Eintrag zu Ruth und Heinrich S. 341 f.