Biografie Familie Sommerfeld

Recherche: Bernadette Künzel-Geiler

Isidor, Emma und Elfriede Sommerfeld

Isidor Itzig Sommerfeld wurde am 22.4.1884 in Krojanke (Kr. Flatow, Westpreußen, heute Polen) geboren.

Seine Eltern hießen Adolf Sommerfeld und Pauline geb. Salomon.1

Emma Sommerfeld wurde am 5.12.1895 in Kaiserslautern als Tochter des aus Mainz stammenden Bürstenfabrikanten Martin Knobloch (Vater Heinrich Knobloch, Mutter: Josefina Ganz) und seiner Frau Rosa Levy (Vater: Abraham Levy, Mutter: Karolina Preis) geboren.2

Isidor und Emma heirateten am 8.6.1921 in Kaiserslautern. Das junge Paar zog in die Eisenbahnstraße 51, in der auch Emmas Eltern lebten. Am 20.9.1923 wurde die einzige Tochter Elfriede geboren.3 In der Eisenbahnstraße betrieb Isidor eine Wolle- und Kurzwarenhandlung.4

Isidor und Emma Sommerfeld, Rosa Knobloch, vorne: Elfriede Sommerfeld, 
1927 (privates Foto)
Isidor und Emma Sommerfeld, Rosa Knobloch, vorne: Elfriede Sommerfeld, 1927 (privates Foto)

Emmas Vater Martin Knobloch gehörte den Separatisten an, die eine Loslösung der Pfalz von Bayern und dem Deutschen Reich wünschten. Die französischen Besatzer unterstützten diese Separatisten.

Nachdem die Franzosen am 30.6.1930 Kaiserslautern verlassen hatten, wurden nachts mehrere Separatisten gehörende Geschäfte verwüstet, darunter auch Fabrik und Wohnung des Martin Knobloch, der daraufhin am 1.7.1930 mit seiner Frau und den meisten seiner acht Kinder Kaiserslautern verließ und nach Metz zog.5

Isidor und Emma blieben noch drei Jahre in der Eisenbahnstraße 51. Am 1.3.1933 verkaufte Martin Knobloch das Haus.6 Ob er dies noch aus eigener Entscheidung oder schon unter Druck tat, konnte ich nicht ermitteln. Am 22.3.1933 musste jedenfalls Familie Sommerfeld in die Lutrinastr.17 umziehen, wo Isidor als Wäschereisender (also nun ohne Geschäft) gemeldet war.7 Er besaß ein Fahrzeug, mit dem er seine Kundschaft auf dem Lande besuchte. Während das Geschäft früher sehr gut gegangen war, ging es ab 1933 stetig zurück und kam ab 1936 fast völlig zum Erliegen.8

Am 30.6.1934 zog die Familie nach Schopp, am 28.2.1935 zurück nach Kaiserslautern in die Klosterstraße 15, am 12.10.1937 schließlich in die Glockenstraße 65.9

Die Tochter Elfriede besuchte seit dem 12.4.1934 das Institut der Franziskanerinnen, vermutlich bis die Schule 1937 aufgelöst wurde.

Anschließend besuchte Elfriede die jüdische Sonderklasse in der Röhmschule. Auf dem Foto dieser Klasse ist sie oben ganz rechts zu sehen. Frau Erna de Vries erinnert sich noch an ihre Mitschülerin „Elli“.10

JuedischeSonderklasseDerRoehmschule
Jüdische Sonderklasse der Röhmschule (Anm. 10)

Im Frühjahr 1938 wurde Elfriede aus der Schule entlassen, da ihre Schulpflicht erfüllt war.

Die Wohnung der Familie Sommerfeld wurde in der Reichskristallnacht verwüstet, dafür gibt es Zeugen, so auch Frau Helma Steinebrei, die als damals 7jähriges Nachbarskind das Geschehen als Augenzeugin miterlebte und jetzt eine Steinpatenschaft übernahm.

Über die Ereignisse jenes Tages berichtete Elfriede Sommerfeld selbst in einem Brief an das Entschädigungsamt in Berlin. Sie schreibt folgendes:

„Ich war erst 15 1/2 Jahre, als ich mich wegen der national-sozialistischen Verfolgung in Deutschland im Frühjahr 1939 von meinen Eltern trennte, um zu meinem Großvater nach Metz zu gehen.

Ich bin in Frankreich (…) am 28.3.1939 eingereist. Als meine Eltern von Kaiserslautern nach Berlin verzogen, war ich somit nicht mehr mit ihnen zusammen und also nicht Augenzeuge der Geschehnisse.

Dagegen erinnere ich mich sehr wohl der Ereignisse der sog. Kristall-Nacht im November 1938.

An diesem Tage erschien eine Bande von SA-Männern vor unserer Wohnung in Kaiserslautern und begehrte Eintritt. Meine Mutter und ich waren allein zu Hause, da mein Vater auf das Polizeiamt gegangen war, um wegen seines Passes, dessen Ausstellung er beantragt hatte, vorzusprechen.

Er wurde an diesem Tage zweimal verhaftet. Nach der ersten Verhaftung wurde er wieder freigelassen, nach der zweiten in das KZ Dachau verbracht.

Da meine Mutter den Männern die Tür nicht öffnete, schlugen sie die Tür mit Hackbeilen ein. In die Wohnung eingedrungen, zerschlugen sie mit den Beilen alle wertvollen Einrichtungsgegenstände in den Zimmern und in der Küche, einschließlich des großen Gasherds. Dann zogen sie ab, indem sie eine Kassette mit Geld mitnahmen, die sie im Wäscheschrank gefunden hatten.

Es konnte keine Rede davon sein, die zusammengeschlagene Wohnungseinrichtung, und wäre es auch nur zu Verschleuderungspreisen, zu verkaufen.

Die wenigen, relativ wertlosen Einrichtungsgegenstände, die noch brauchbar waren, so auch mein metallenes Bett und eine alte Chaiselongue, an die ich mich noch gut erinnere, nahm meine Mutter mit, als wir beide nach der Kristallnacht unsere Wohnung räumen und uns in einem Zimmer der im Erdgeschoss gelegenen Wohnung des Hausbesitzers, Herrn Stern, einrichten mussten.

Die zerschlagenen Möbel waren, soweit ich mich noch erinnere, die folgenden:

  • die Speisezimmereinrichtung bestehend aus Buffet, Kredenz mit Glasfächern, ein großer Ausziehtisch, lederbezogene Stühle, mehrere Blumentischchen sowie Bilder
  • Schlafzimmereinrichtung bestehend aus 2 großen Betten, einem dreiteiligen Spiegelschrank für Kleider und Wäsche, 2 Nachttische, Frisiertisch und Etagere mit Marmorplatten, 1 Zimmerteppich. Auch die Nähmaschine war kaputt geschlagen.
  • Die Kücheneinrichtung bestehend aus: einem großen Küchentisch, 1 großen Buffet mit Aufsatz und Spiegeln, 1 kleinen Buffet, Stühlen, Gasherd, Küchenherd. Auch die Lampen und Leuchter waren alle zerschlagen.

Darüber, was meine Eltern an Wäsche und Kleidern nach Berlin mitgenommen haben mögen, kann ich nichts aussagen. Ich war zu jener Zeit, wie bereits ausgeführt, schon in Frankreich.“ 11

Isidor Sommerfeld war vom 12.11.1938 bis zum 10.12.1938 in Dachau interniert.12

Im Alter von 15 Jahren reiste Elfriede am 27.3.1939 mit einem Besuchervisum nach Metz zum Großvater aus.13 Ihre Eltern sollte sie nie wieder sehen.

PassElfriedeSommerfeld
Pass und Visum, mit dem Elfriede Sommerfeld 1939 Deutschland verließ (privates Dokument)

Auch Isidor und Emma beantragten ein Visum, erhielten dies aber nicht.

Anstatt wie ihre Vermieter, die Sterns, ins Judenhaus umzuziehen, verließen Isidor und Emma Kaiserslautern und zogen am 2.10.1939 zu Emmas Onkel Max Levy nach Berlin. Ab dem 2.12.1940 wohnten sie dort in der Moritzstraße 22, wo Isidor als Hilfsarbeiter gemeldet war.14

Am 2.3.1943 wurden Isidor und Emma mit dem Osttransport 32 nach Auschwitz deportiert.15

Elfriede war in Frankreich nur scheinbar in Sicherheit.

Bald wurde sie als „unerwünschte Ausländerin“ in Gurs interniert, während ihre schon länger in Metz lebenden Verwandten nach der Besetzung Frankreichs in den noch freien Teil des Landes abgeschoben wurden.

Aus dem Lager in Gurs wurde Elfriede am 24.10.1940 zu ihrer inzwischen in Lyon lebenden Tante Ida Tarnowski entlassen, wenige Tage, bevor ihre ehemaligen Mitbürger aus Kaiserslautern im Lager eintrafen.16

Nun lebte sie in der Familie ihrer Tante, musste aber nach der Besetzung ganz Frankreichs zusammen mit der Gastfamilie mit gefälschter Identität untertauchen.17

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Carte d’identité für Elfriede Sommerfeld (Quelle: privates Dokument)

Eine vom Roten Kreuz übermittelte 25-Wörter-Nachricht mit Glückwünschen zum 19. Geburtstag war das letzte Lebenszeichen, das Elfriede im September 1942 von ihren Eltern erhielt.

Letzte Nachricht von Isidor und Emma Sommerfeld
Letzte Nachricht von Isidor und Emma Sommerfeld (Quelle: privater Brief)

Elise, wie sie sich in Frankreich nannte, heiratete Paul Nathan Kaspy, die Ehe blieb kinderlos.

Am 5.3.2004 starb Elise Kaspy-Sommerfeld in Lyon.18

Ihr Cousin Jean Tarnowski überließ mir Dokumente und Fotos.

Elise Kaspy-Sommerfeld in Lyon
Elise Kaspy-Sommerfeld in Lyon (privates Foto)

Von den acht Kindern des Bürstenfabrikanten Martin Knobloch überlebten nur vier den Holocaust.

Neben Emma und Isidor Sommerfeld wurden folgende weitere Familienangehörige ermordet:

  • Hugo, der am 22.11.1941 mit seiner Frau Alma (geb. Bössmann) von Frankfurt aus nach Kowno in Litauen deportiert wurde19
  • Helmut mit seiner Frau Alice und der 8jährigen Tochter Arlette, welche von Limoges aus zunächst nach Drancy und am 20.11.1943 nach Auschwitz deportiert wurden20
  • Ernst, der am 20.8.1944 wenige Tage vor der Befreiung beim Rückzug der Deutschen zusammen mit weiteren 108 Juden und Résistance-Mitgliedern in der Nähe der Stadt Lyon auf dem Flughafen Bron erschossen wurde. Diese Erschießung hatte Klaus Barbie angeordnet.21
Arlette Knobloch, Elfriedes kleine Cousine, die in Auschwitz ermordet wurde
Arlette Knobloch, Elfriedes kleine Cousine, die in Auschwitz ermordet wurde (Quelle: Anm. 20)

Anmerkungen:

1. Meldekarte der Stadt Kaiserslautern für Isidor Sommerfeld (ohne Nummer)
2. Meldekarte Nr. 8643 der Stadt Kaiserslautern (Martin Knobloch)
3. Meldekarte Sommerfeld
4. Adressbuch der Stadt Kaiserslautern 1930/31
5. Pfälzische Volkszeitung 1./2.07.1930; Meldekarte der Stadt Metz (Frankreich) für Martin Knobloch; www.historisches-lexikon-bayerns.de/artikel/artikel_44604 („Pfälzischer Separatismus“)
6. Laut Grundbucheintrag vom 1.03.1933
7. Meldekarte Sommerfeld und Adressbuch 1934
8. Privater Brief von Maximilian Levy, ohne Datum
9. Meldekarte Sommerfeld
10. Privates Foto (Quelle: www. Projektzeitlupe.de/de/ernadevries/lebenslauf/galerie/003.jpg); Brief Erna de Vries v. 30.11.2014; Archiv St.-Franziskus-Gymnasium-und-Realschule
11. Brief von Elfriede Sommerfeld an das Entschädigungsamt in Berlin, 1966
12. E-mail von Kz-Gedenkstätte Dachau vom 17.06.2014 und www.bundesarchiv.de/gedenkbuch/de1163641
13. Meldekarte Sommerfeld und Reisepass Nr. 570/38 Elfriede Sara Sommerfeld
14. E-mail vom Landesarchiv Berlin vom 26.06.2014
15. www.statistik-des-holocaust.de/OT32-21.jpg
16. Avis de libération du Camp d’Internement de Gurs vom 24.10.1940
17. Carte d´Identité für Hélène Elise Schuler vom 10.05.1943
18. Acte de décès, Mairie de Lyon
19. www.bundesarchiv.de/gedenkbuch/de899967 und www.bundesarchiv.de/gedenkbuch/de846794
20. www.holocaust-history.org/klarsfeld/French%20Children/html%26graphics/T1682.shtml und www.bundesarchiv.de/gedenkbuch/de328754
21. www.ajpn.org/arrestation-1-69029.html

Quellen:

  • Adressbücher der Stadt Kaiserslautern 1930/31 und 1934
  • www.ajpn.org/arrestation-1-69029.html
  • www.bundesarchiv.de/gedenkbuch/de328754
  • www.bundesarchiv.de/gedenkbuch/de846794
  • www.bundesarchiv.de/gedenkbuch/de899967
  • www.bundesarchiv.de/gedenkbuch/de1163641
  • www.db.yadvashem.org
  • www.historisches-lexikon-bayerns.de/artikel/artikel_44604
  • www.holocaust-history.org/klarsfeld/French%20Children/html%26graphics/T1682.shtml
  • Meldekarte Nr. 8643 der Stadt Kaiserslautern (Martin Knobloch)
  • Meldekarte der Stadt Kaiserslautern für Isidor Sommerfeld (ohne Nummer)
  • Meldekarte der Stadt Metz (Frankreich) für Martin Knobloch
  • Pfälzische Volkszeitung 1./2.07.1930
  • Private Fotos, Dokumente, Briefe aus dem Besitz von Jean Tarnowski, Lyon
  • www. Projektzeitlupe.de/de/ernadevries/lebenslauf/galerie/003.jpg
  • www.statistik-des-holocaust.de/OT32-21.jpg