Biografie Gustav Simon

Recherche: Dr. Doris Lax

Auch für Paula Gutmanns großen Bruder brennt eine Kerze, und auch sein Leben, in das wir ein wenig Licht bringen wollen, soll unvergessen bleiben.

Gustav Simon
Gustav Simon, um 1917, in Uniform

Gustav Simon kam drei Jahre vor seiner Schwester am 29. Dezember 1874 als zweiter Sohn der jüdischen Eheleute Isaak Simon, Handelsmann, und Friederike, geborene Mayer, in Kaiserslautern zur Welt. Auch er wurde am 22. Oktober 1940 ins Lager Gurs deportiert, wo er am 15. Juni 1942 starb.

Der älteste Bruder Ludwig-Jakob, am 5. September 1873 geboren, starb 1879 im Alter von nur 6 Jahren. Nur die Jüngste, Paula, 1877 geboren, überlebte und starb im hohen Alter in den USA, wie wir schon hörten.

Gustav, der von Beruf Pferdehändler war, lebte zwischen April 1914 und April 1916 in der Steinstraße 22, ehe er das Anwesen in der Steinstraße 35 von seinen Eltern übernahm, die beide im Abstand von wenigen Monaten 1919 verstarben. Wie letztlich alle wehrfähigen Deutschen, ob jüdisch oder nicht, kämpfte Gustav im 1. Weltkrieg – eingezogen Ende Februar 1917, kehrte im Dezember 1918 aus dem Krieg heim.

Am 3. April 1913 hatte Gustav die Jüdin Amalie Götz geheiratet, die am 13.4.1889 in Gonbach geboren worden war. Aus der Ehe ging die am 17.12.1914 geborene Tochter Johanna Henriette, genannt Henny, hervor. Gustavs Ehefrau Amalie starb im Alter von 26 Jahren am 19. September 1915. Die zu diesem Zeitpunkt 9 Monate alte Henny wurde fortan von ihrem Vater und dessen Schwester Paula Gutmann groß gezogen, denn Gustav heiratete nicht mehr.

Den äußerst schwierigen politischen, sozialen und wirtschaftlichen Verhältnissen und gewiss wenigstens teilweise dem in den 1920er Jahren immer stärker werdenden Antisemitismus in der Bevölkerung mitverschuldet, musste die kleine Patchworkfamilie aus Tante, Vater und Tochter das geerbte Anwesen in der Steinstraße am 1. Februar 1933 veräußern und zuerst in die Amselstraße, nach einem halben Jahr in die Von-der-Tann-Straße ziehen, ehe Gustav und seine Schwester im Oktober 1934 in der Schneppbachstraße gemeldet waren.

Tochter Henny verließ mit 20 Jahren im April 1934 Kaiserslautern, um nach Würzburg zu ziehen und Lehrerin zu werden. Noch in Würzburg heiratete sie den aus Rexingen stammenden Siegbert Schwarz. Am 27. März 1936 kehrte Henny für ein halbes Jahr nach Kaiserslautern zurück und ging, so ist es auf der Meldekarte vermerkt, am 30. Oktober 1936 „auf Reisen“. Tatsächlich wanderte sie mit ihrem Mann nach Palästina aus, bevor sie 1938 von Haifa aus über Le Havre in die USA emigrierte. Das Ehepaar Schwarz lebte zuletzt in Somers im Bundesstaat New York, wo Henny Ende der 90er Jahre starb, nachdem sie jahrelang unter Alzheimer gelitten hatte. Ihr Mann Siegbert starb 2010 im hohen Alter von 95 Jahren. Gustav und Paula mussten wie die meisten anderen jüdischen Lauterer Opfer die nationalsozialistischen Zwangsumzugmaßnahmen erdulden, denn am 5. November 1935 mussten sie in eines der sogenannten Judenhäuser in die Klosterstraße 26 umziehen. Und mit allen anderen jüdischen Mitbürgern wurden Gustav Simon und Paula Gutmann am 22. Oktober 1940 ins Lager Gurs deportiert, wo Gustav Simon am 15. Juni 1942 starb.

Doch damit ist das Leid der Familie Simon noch lange nicht zu Ende erzählt. Denn die Biographien Gustav Simons und seiner Nachkommen sind ein Beispiel dafür, wie zum einen zu Beginn des 20. Jahrhunderts wohl allgemein anerkannte gesellschaftliche und insbesondere religiöse Beschränkungen und Tabus das Glück von Menschen hindern und zerstören konnten und darüber hinaus die unmenschliche Rassenideologie der Nazis noch weit über die Zeit der verübten Verbrechen hinaus leidvoll wirkte. Denn Gustavs Simons Liebe galt – vor seiner Ehe mit Amalie Götz – der Protestantin Romhilde Stutzenberger, die er, so steht anzunehmen, nicht heiraten durfte, aus welchen Gründen auch immer. Aus dieser Beziehung ging der gemeinsame Sohn Erich Gustav hervor, den die 20jährige Romhilde am 13.11.1913 in Hollerich, Luxemburg, zur Welt brachte. Ob sie Kaiserslautern wegen der Schande der unehelichen Schwangerschaft verließ oder aus anderen Gründen, ist nicht nachzuvollziehen, ebenso wenig ob und inwieweit Gustav Simon über die Geburt und das weitere Leben seines Sohnes dauerhaft in Kenntnis war. Romhilde heiratete schließlich Georg Michael Blendinger, der Ende 1923 in Schweinfurt dem damals 10jährigen Erich seinen Nachnamen Blendinger übertrug.

Erich Blendinger wurden nach seiner Bäckerlehre und seinen Gesellenjahren von den gerade an die Macht gekommenen Nazis sowohl die Meisterausbildung als auch die Übernahme einer Bäckerei wie die Heirat verweigert. Stattdessen wurde er, wie alle jungen Männer zwischen 18 und 25 Jahren, zum Arbeitsdienst gezwungen, von wo aus er direkt zu Kriegsbeginn eingezogen wurde. Dem zunehmend in alle Lebensbereiche mit sogenannten „Säuberungen“ eingreifenden Antisemitismus der Nazis fiel auch Erich Blendinger zum Opfer, als er als „Halbjude“ unehrenhaft aus der Armee entlassen wurde und bei der berüchtigten „Organisation Todt“ Zwangsarbeit in Cravant, Yonne, in Südfrankreich leisten musste.

Erich Blendinger überlebte, aber wie sehr die nationalsozialistische Ideologie bis in die jüngste Vergangenheit und gar bis heute hinein ihre Schatten zu werfen vermochte und vermag, zeigt die Tatsache, dass, aus welchen Gründen auch immer, in der Familie bis vor wenigen Jahren der Mantel des absoluten Schweigens über die Familiengeschichte gebreitet – und damit neues Leid verursacht wurde.

Henny Schwarz geb Simon
Henny Schwarz, geb. Simon (Gustav Simons Tochter), mit Ehemann Siegbert Schwarz, USA ca. 1995

Quellen:

  • Meldekarten der Stadt Kaiserslautern
  • Gedenkbuch (Stand Januar 2018) Roland Paul: Die nach Gurs deportierten pfälzischen Juden, S. 76.
  • Auszug aus den Zivilstands-Registern der Stadt Luxemburg zu Erich Gustav Blendinger, geb. Stutzenberger, Sohn von Gustav Simon (Kopie, zur Verfügung gestellt von Dr. B. Blendiger-Kagon)
  • Mail von Frau Ilse Spatz (Nichte von Siegbert Schwarz, Ehemann von Henny, geb. Simon), New York City, Februar 2010 (Kopie, zur Verfügung gestellt von Dr. B. Blendiger-Kagon)
  • Foto von Gustav Simon, um 1917, in Soldaten-Uniform (Kopie, zur Verfügung gestellt von Dr. B. Blendiger-Kagon)
  • Gespräche mit Frau Dr. Barbara Blendinger-Kagon, Enkelin von Gustav Simon Henny Schwarz, geb. Simon (Gustav Simons Tochter), mit Ehemann Siegbert Schwarz, USA ca. 1995